Querschläger
wenn wir Frau Hellers These zugrunde legen, dass unser Trittbrettfahrer ein Sicherheitsfanatiker ist und folglich mit dem Opfer beginnen würde, um das es ihm in Wahrheit ging.«
»Ist ja logisch«, sagte Bredeney. »Ansonsten würde er riskieren, dass der betreffenden Person im allgemeinen Chaos die Flucht gelingt oder dass sie sich irgendwo versteckt, wo er sie niemals findet.«
»Nach allem, was wir inzwischen wissen, denke ich auch, dass Karla Oppendorf von all unseren Optionen diejenige ist, die am ehesten in die Kategorie Kollateralschaden fällt«, stimmte Werneuchen ihm zu. »In ihrer Orientierungslosigkeit war sie eine denkbar leichte Beute für unseren zweiten Schützen, dem es vermutlich einzig und allein darum ging, die Liste der Todesopfer noch ein wenig zu verlängern.«
»Damit die Sache noch unübersichtlicher wird«, nickte Winnie Heller. »Hinzu kommt, dass er zu diesem späten Zeitpunkt kaum noch mit unbequemen Zeugen für den Mord an Karla Oppendorf rechnen musste, weil die übrigen Schüler das Gebäude längst verlassen hatten.«
»Eine sichere Sache«, nickte Werneuchen.
»Aber garantiert nicht die, um die es unserem Mann ursprünglich ging«, pflichtete Verhoeven ihm bei.
»Bestimmt nicht.«
»Somit wäre es vermutlich auch zweitrangig, dass Karla Oppendorfs Leiche in der Bibliothek gefunden wurde, oder?«, fragte Bredeney, doch er erhielt keine Antwort.
Allerdings nahm Stefan Werneuchen das Stichwort »Bibliothek« zum Anlass, um zum nächsten Opfer auf seiner Liste überzuleiten. »Kommen wir zu Beate Soltau, der Sekretärin«, sagte er, indem er eine neue Seite mit Informationen aufschlug. »Vierundvierzig Jahre alt. Geschieden. Keine Kinder, keine Geschwister. Und auch ihre Eltern sind bereits vor Jahren gestorben.« Er blätterte beiläufig durch die nächsten Seiten. »Frau Soltau galt allenthalben als freundlich, hilfsbereit und zuverlässig. In ihrer Freizeit absolvierte sie mit schöner Regelmäßigkeit Volkshochschulkurse in Italienisch und Aquarellmalerei. Außerdem stöberte sie gern auf Flohmärkten herum und besaß ein Abo für die Oper.«
Eine Dame mit Kunstsinn, resümierte Winnie Heller, indem sie kurz zu Verhoeven hinübersah. Und auch ihr Vorgesetzter hob beim Stichwort »Oper« den Kopf wie ein konditionierter Hund und lächelte ihr zu. Triumphierend, wie ihr scheinen wollte, vermutlich, weil sie hatte zugeben müssen, dass sie klassische Musik mochte oder doch zumindest ein bisschen was davon verstand. Sie wollte gerade ärgerlich werden, als ihr die Anti-Tretboot-Verordnung wieder einfiel, die Verhoeven ganz offenbar erfunden hatte, um … Ja, warum eigentlich? Ihr Vorgesetzter war definitiv der letzte Mensch auf der Welt, dem sie zugetraut hätte, dass er sein Kind anschwindelte. Zumindest würde er es nicht ohne guten Grund tun, dachte sie, und hier kam sie zweifellos an den interessanten Punkt bei dieser ganzen Angelegenheit! Sie kniff prüfend die Augen zusammen. Schickte sich Verhoeven etwa an, beim Teichbau zu versagen? Okay, er war nicht gerade überwältigend sportlich, aber so einen kleinen Gartenteich anzulegen konnte doch eigentlich nicht so furchtbar schwer sein, oder? Und warum hatte er sich überhaupt darauf eingelassen, wenn ihm die Sache so schnell über den Kopf zu wachsen drohte? Winnie Heller griff nach ihrer Kaffeetasse und beschloss, dass es sich definitiv lohnte, diese Sache weiterzuverfolgen. Und genau das würde sie auch tun!
»Der Exmann von Beate Soltau ist übrigens auch am Clemens-Brentano-Gymnasium beschäftigt«, erklärte Werneuchen unterdessen mit bedeutungsvoller Miene. »Werner Kröll, neununddreißig Jahre jung und von Haus aus Akademiker. Allerdings musste er aufgrund von psychischen Problemen seinen gut bezahlten Job in der Werbung aufgeben. Während eines mehrjährigen Aufenthaltes in einer psychiatrischen Klinik hat er dann eine Ausbildung zum Schreiner absolviert und anschließend eine Weile in einer großen Tischlerei in Frankfurt gearbeitet, bis das Clemens-Brentano-Gymnasium vor etwas mehr als einem Jahr einen neuen Hausmeister suchte.«
Winnie Heller hob interessiert den Kopf. »Hat seine Exfrau ihm zu dieser Stelle verholfen?«
Werneuchen verneinte. »Beate Soltau soll, im Gegenteil, ganz und gar nicht erfreut gewesen sein, ihren Verflossenen wieder so dicht vor der Nase zu haben.«
»Und warum?«
»So weit sind wir leider noch nicht«, winkte der Kollege ab. »Bislang wissen wir nur, dass Frau Soltau sich damals
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