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Querschläger

Querschläger

Titel: Querschläger Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Silvia Roth
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fiel ihr nicht einmal etwas Plausibles ein. Dabei hatte sie doch gerade eben in Verhoevens Auto noch so virtuos und mühelos vor sich hin gelogen!
    »Nach mir?«, erkundigte sie sich mit betont verständnisloser Miene. »Warum denn das?«
    »Keine Ahnung«, musste Bredeney zugeben, doch sein Gesichtsausdruck ließ keinen Zweifel daran, dass er entschlossen war, die Antwort auf diese Frage herauszufinden. Koste es, was es wolle. »Er dachte wohl, dass Sie Urlaub hätten. Und … Ja, er wirkte ein wenig besorgt, wenn ich das mal so ausdrücken darf. Auch wenn er natürlich versucht hat, das hinter seiner üblichen Polterei zu verstecken.«
    Besorgt!, dachte Winnie Heller. So ein Idiot! Sich von einem findigen alten Kollegen wie Bredeney derart in die Karten gucken zu lassen, war eines gewieften Pokerspielers wie Lübke wahrhaftig nicht würdig! Apropos … »Was ist denn heute für ein Wochentag?«, fragte sie mit unschuldigem Blick.
    »Donnerstag«, entgegnete Bredeney, der sie noch immer ungeniert musterte.
    »Richtig, Donnerstag, na klar!« Winnie Heller schlug sich in einer bühnenreifen Geste des Erkennens die Hand vor die Stirn, bis ihr einfiel, dass sie erst vor einer knappen halben Stunde in exakt derselben Weise auf eine gänzlich erfundene Anti-Tretboot-Verordnung reagiert hatte und dass Verhoeven womöglich misstrauisch wurde, wenn sie es derart übertrieb. Also ließ sie die Hand schnell wieder neben ihrem Körper herunterfallen und versuchte es stattdessen mit einem unverbindlichen Lächeln. »Tja, dann wird’s wohl um unseren Pokerabend morgen gegangen sein. Schätze, der ist angesichts dieser Amoksache abgesagt.«
    »Wahrscheinlich.« Es war Oskar Bredeney anzusehen, dass ihn diese Erklärung nicht im Mindesten zufriedenstellte. »Aber warum dachte Lübke, dass Sie Urlaub hätten?«
    »Na, vermutlich wegen Auerbach«, gab Winnie Heller zurück. »Diese verdeckte Ermittlung sollte uns ja eigentlich einen freien Tag bescheren und … Ach ja, übrigens!« Sie langte in ihre Handtasche und zog einen sorgfältig beschrifteten Aktendeckel heraus, bevor sie sich wieder an Verhoeven wandte. »Hier ist auch noch mein Bericht. Soll ich ihn auf Ihren Schreibtisch legen?«
    Ihr Vorgesetzter schüttelte den Kopf. »Ich muss sowieso kurz an meinen Postkorb«, sagte er und streckte die Hand aus.
    Widerwillig reichte Winnie Heller ihm die zusammengehefteten Seiten, an deren erstem Blatt sie mittels einer Büroklammer einen Zehneuroschein befestigt hatte. Ihren Anteil an dem unfreiwilligen Fast-Food-Mahl von vorgestern Abend.
    Verhoeven sah das Geld – so wie sie es platziert hatte, musste er es sehen –, aber entgegen ihrer Erwartung protestierte er nicht, sondern trug den Aktendeckel kommentarlos zu seinem Schreibtisch hinüber, während sie Oskar Bredeney in den Konferenzraum auf der anderen Seite des Flurs begleitete, um sich von Stefan Werneuchen mit Hintergrundinformationen zu jenen Opfern versorgen zu lassen, die von ihrem mysteriösen Trittbrettfahrer getötet worden waren.
    6
    Die Stufen der Treppe knarrten unter ihrem Gewicht, und Jessica Mahler biss sich nervös auf die Unterlippe. Sie wollte so leise wie möglich sein, aber dieses ganze verdammte Haus schien zu leben! Überall knackte und arbeitete das Holz.
    Unwillkürlich musste sie an Käfer denken, die sich systematisch durch die dicken Wände fraßen, und auf einmal schien es ihr doch keine so verlockende Idee mehr zu sein, hier zu übernachten. Zugleich schoss ihr der Begriff »dekadent« durch den Sinn, und genau das waren diese Leute auch! Sie glaubten, dass ihr Geld ihnen das Recht gab, andere zu schikanieren und zu benutzen, ganz wie es ihnen gerade einfiel.
    Jessica Mahler dachte an Sven Strohte und stellte sich vor, wie Lukas und sein Spezi Steven diesen bleichen Geist von einem Jungen vor sich her getrieben hatten. Wie sie ihn mit Farbpatronen beschossen und vor Lachen gebrüllt hatten, wenn er hingefallen war. Und auf einmal wurde ihr klar, dass sie etwas gemeinsam hatten, Sven Strohte und sie. Sie waren beide in diese Hütte gekommen, weil sie dazugehören wollten. Zumindest irgendwie ein bisschen. Und beide hatten sie einen verdammt hohen Preis für diesen kindischen Wunsch bezahlt!
    Sie nahm die letzte Treppenstufe in Angriff und sah sich um. Wo mag Lukas seine Waffen versteckt haben?, überlegte sie. All die komischen Farbbeutel und diese Dinger, mit denen man sie abschießt. Schließlich konnte er die nicht einfach mit sich herumtragen.

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