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Querschläger

Querschläger

Titel: Querschläger Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Silvia Roth
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nicht? Schließlich könnte ja auch jemand, der zuvor in der Hütte gewesen war, vergessen haben, den Schlüssel unter den Rosmarintopf zurückzulegen. Ein ziemlich blödes Versäumnis, zugegeben, aber auch nicht gänzlich ausgeschlossen.
    Und wenn sie sich ganz still verhielt …
    Sie ließ vom Schlüsselloch ab und wich langsam von der Tür zurück, während ihr Verstand sich verzweifelt um eine halbwegs sachliche Analyse der Situation bemühte. Die Wertheims hatten gerade ihren einzigen Sohn verloren, und selbst vor diesem schmerzlichen Verlust waren sie nur höchst selten hier heraus in ihre Hütte gekommen. Sie hatte kein Auto gehört. Auch kein Motorrad. Und trotzdem fühlte sie etwas in ihrer Nähe, eine … Ja, eine Art von Präsenz. Da war jemand!
    Jemand außer ihr.
    Jemand, der versuchte, leise zu sein. Ganz wie sie selbst.
    Jemand, der kein Licht machte. Ganz wie sie selbst.
    Allerdings suche ich ein kompromittierendes Videoband, dachte sie. Aber was zum Teufel sucht diese andere Person?
    Dich.’, wartete ihr Verstand mit einer überaus unbehaglichen Antwort auf. Wer immer da gerade die Treppe hinaufkommt, ist auf der Suche nach dir!
    Das ist doch Schwachsinn, widersprach Jessica Mahler sich selbst. Niemand kann wissen, dass ich hier bin. Mein Fahrrad steht so weit entfernt, dass es genauso gut einem Pilzsammler gehören könnte. Oder einem Spaziergänger. Und außer Lukas weiß keine Menschenseele, dass ich je hier gewesen bin.
    Und Lukas ist tot.
    Sven weiß es.
    Unsinn! Ich darf mich nur nicht selbst verraten!
    Als sie ein Knarren auf der Treppe hörte, zögerte Jessica Mahler keine Sekunde länger. Sie warf sich, wo sie gerade stand, zu Boden und kroch unter das staubige Doppelbett.
    7
    »Okay«, sagte Werneuchen, nachdem auch Verhoeven zu ihnen gestoßen war. »Beginnen wir der Einfachheit halber mit Karla Oppendorf. Das ist das fünfzehnjährige Mädchen, das zusammen mit Beate Soltau, der Sekretärin, in der Bibliothek gefunden wurde.« Er zog ein eng beschriebenes Blatt Papier aus der Akte, die neben seiner Teetasse lag. »Nach allem, was wir wissen, hatte Karla Oppendorf zum Zeitpunkt des Amoklaufs Geschichtsunterricht, und zwar hier, im zweiten Stock des Altbaus.« Er stand auf und bezeichnete den entsprechenden Raum auf dem Plan an der Wand. »Dort ist Nikolas Hrubesch auf seinem Weg ins Zwischengebäude durchgekommen, und dort haben wir auch eine ganze Menge Einschüsse und Verletzte. Viele Kinder aus der zweiten Etage haben ihre Klassenzimmer verlassen, als sie die Schüsse im Stockwerk über sich hörten, und eine ganze Reihe davon sind Hrubesch sozusagen direkt vor die Flinte gelaufen, als er ihnen vom dritten Stock über das westliche Treppenhaus entgegenkam.« Er kehrte an den Tisch zurück, verzichtete jedoch darauf, sich hinzusetzen. »Karla Oppendorf könnte unter den besagten Schülern gewesen sein. In diesem Fall wäre sie von Hrubesch sozusagen vor sich her, den Flur hinunter getrieben worden. Und rein theoretisch könnte sie dabei, anstatt im angrenzenden östlichen Treppenhaus die Treppe nach unten zu nehmen, in die Bibliothek geflüchtet sein. Allerdings bin ich bei der Durchsicht der Befragungsprotokolle auf ein paar äußerst aufschlussreiche Aussagen gestoßen.«
    Die Kollegen blickten ihn mit gespanntem Interesse an.
    »Ich will es kurz machen«, sagte Werneuchen. »Nach Angaben mehrerer Zeugen hat Karla Oppendorf Hrubeschs Schüsse überlebt, weil sie eben nicht auf den Flur rannte, sondern sich zusammen mit ein paar anderen Kindern in einem der Klassenzimmer versteckt hat. Allerdings soll sie es – im Gegensatz zu ihren Mitschülern – nicht gewagt haben, das Gebäude zu verlassen, nachdem es draußen auf dem Gang eine Weile ruhig geblieben war.« Er zog seinen Stuhl vor und nahm nun doch wieder Platz. »Zwei Zeugen haben unabhängig voneinander ausgesagt, das Mädchen gegen 12 Uhr 30 noch gesehen zu haben. Und zwar lebend. Zu diesem Zeitpunkt sei Karla mehr oder weniger orientierungslos auf den Gängen herumgeirrt und trotz entsprechender Aufforderungen nicht dazu zu bewegen gewesen, mit hinaus ins Freie zu kommen.«
    »Und um 12 Uhr 30 war Nikolas Hrubesch bereits tot«, bemerkte Verhoeven grimmig.
    Werneuchen nickte. »Neben dem Projektil ein weiterer Beweis, dass Karla Oppendorf unserem zweiten Mann zum Opfer fiel.«
    »Und zugleich ein Indiz dafür, dass das Mädchen nicht das eigentliche Opfer dieses Mannes gewesen sein kann«, ergänzte Verhoeven. »Zumindest,

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