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Querschläger

Querschläger

Titel: Querschläger Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Silvia Roth
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alles kurz und klein geschossen hatte.
    Sie hätte lachen mögen über die Staubflocken, die vor ihrem Gesicht herumwirbelten, sobald sie es wagte, auszuatmen. Sie hätte lachen mögen über die ausgetretenen Hausschuhe, die neben ihr auf dem Fußboden standen und die ihr erst aufgefallen waren, als sie schon längst unter dem Bett gelegen hatte. Über die groteske Komik dieser ganzen Situation. Da war sie vor zwei Tagen um Haaresbreite einem Blutbad entronnen, sie hatte die Begegnung mit einem Wahnsinnigen überlebt und beim Anblick von Lukas Wertheims Leiche das Gefühl gehabt, dass ihr nie wieder irgendetwas gefährlich werden könnte, mehr noch, dass das Überstehen einer solchen Situation sie für den Rest ihres Lebens von allen Ängsten befreien würde. Und nun lag sie in der Waldhütte von Lukas’ Vater unter einem Bett und versuchte, sich vor jemandem zu verstecken, von dem sie nicht die leiseste Vorstellung hatte.
    Sie wusste nicht, ob es ein Mann war oder vielleicht doch eine Frau. Sie hatte keine Ahnung, was die betreffende Person hier wollte. Ob sie tatsächlich etwas suchte oder ob sie einfach nur mal die Treppe rauf- und anschließend vielleicht auch wieder runterging. Ob sie …
    Das Geräusch einer leise knirschenden Türangel riss ihre Gedankenspiele in Fetzen, und unwillkürlich presste Jessica Mahler sich noch fester auf den Boden. Klein werden. Unauffällig sein. Sich tot stellen.
    Ihr Blick klammerte sich an die Holzdielen. Staubflocken dieses Mal, kein Glasschnee.
    Aus den Augenwinkeln sah sie Schuhe. Turnschuhe, um genau zu sein, an denen ein paar feuchte Tannennadeln klebten. Zu groß, um einer Frau zu gehören.
    Also ein Mann!
    Sie fühlte, wie eine jähe Panik in ihr hochkochte. Wie der Lattenrost über ihr mit einem Mal näher zu kommen schien. Auf sie herunterdrückte. Sie einengte und ihr die Luft abschnitt.
    Beruhige dich und hör, verdammt noch mal, endlich auf zu japsen! Oder willst du, dass er dich hört? Dass er aufmerksam wird auf dich? Dass er dich findet?
    Jessica Mahler presste die Lippen aufeinander, bis sie wehtaten. Wo war ihre Coolness? Die überwältigende Gebirgsklarheit in ihrem Kopf, auf die sie so stolz gewesen war? Oder hatte sie all ihren Mut aufgebraucht, vorgestern früh? Hatte dieses Erlebnis, das ihre Mutter »einschneidend« und die Medien »infernal« nannten, ihre Akkus geleert, die Selbstschutzmechanismen ihres Körpers ausgeschaltet und sie hilflos zurückgelassen in dieser seltsam irrealen Situation, die sie nicht einschätzen konnte?
    Keine Gebirgsklarheit mehr.
    Kein Adrenalincocktail, der sie hellwach machte und gleichzeitig alles ausblendete, was beim Denken störte.
    Nur noch Angst.
    Der feine Staub kitzelte in ihrer Nase, und Tränen der Anstrengung liefen über ihre Wangen, als sie den unaufhaltsam stärker werdenden Niesreiz mit aller Gewalt niederrang. Doch irgendwie gelang es ihr tatsächlich, kein Geräusch zu machen. Nur atmen, atmen musste sie irgendwie. Daran führte leider kein Weg vorbei.
    Sie schielte wieder nach den Schuhen, die unterdessen um das Bett herum gekommen waren.
    Du musst leiser sein! Du musst daran denken, dass er dich nicht hören darf! Er weiß nicht, dass du hier bist. Wenn er es wüsste, hätte er längst gehandelt.
    Aber worauf wartete dieser Kerl eigentlich? Seine Schuhe jedenfalls verharrten regungslos auf dem cremefarbenen Bettvorleger, als hätten sie vor, dort Wurzeln zu schlagen. Jessica Mahler versuchte, sich ganz auf ihren Atem zu konzentrieren und dabei den Schmerz zu ignorieren, der von ihrem Nackenwirbel ausging, weil sie den Kopf jetzt schon viel zu lange viel zu krampfhaft vom Boden weg hielt. Über dem Staub, der gefährlich war. Der sie ihre Tarnung kosten konnte.
    Aber es war schon seltsam, was man alles hörte, wenn man versuchte, ganz still zu sein! Den Motor eines Sportflugzeugs. Den eigenen Herzschlag, laut und dröhnend wie ein Presslufthammer. Dazu Vogelgezwitscher. Bizarr, dachte Jessica Mahler, während ihr auf einmal der Schweiß aus allen Poren quoll, Angst und Anstrengung, als ob jemand ein unsichtbares Ventil geöffnet hätte. Wo waren diese Vögel gewesen, bis eben? Warum täuschte ihr dieses verdammte Haus jetzt wieder so etwas wie ländliche Idylle vor? Und wie lange wollte dieser verdammte Kerl noch da stehen, bevor er sich endlich wieder davonmachte?
    Aber Moment!
    Jetzt bewegte er sich plötzlich wieder!
    Sie sah nach links und bemerkte, dass die Spitzen seiner Schuhe auf das Bett

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