Querschläger
überfällig, und inzwischen war sie nicht einmal mehr sicher, ob es ihr überhaupt jemals gelingen würde, in den illustren Kreis der »Lebenslänglichen« aufzusteigen. Die Annahme, dass sich alles Weitere sozusagen von selbst ergeben würde, wenn man erst einmal dabei war, hatte sie jedenfalls schon vor mindestens einem halben Jahr aufgegeben. Aber sie wagte es auch nicht, ihren Vorgesetzten zu fragen, wie ihre Aktien standen.
Verhoeven schien unterdessen gefunden zu haben, worauf er aus gewesen war, denn er legte das Protokoll zur Seite. »Mirja Libolski hat Frau Heller gegenüber angegeben, dass Angela Lukosch entschlossen war, ihr Baby abzutreiben. Zugleich hat sie ausgesagt, dass Angela dem Vater des Kindes gegenüber das Gegenteil behauptet habe, um diesem – ich zitiere – Angst einzujagen.«
»Zumindest der erste Teil von Mirja Libolskis Aussage entspricht definitiv der Wahrheit«, meldete sich Oskar Bredeney zu Wort, der seit Tagen denselben dunkelblauen Pullover trug, jeweils mit wechselnden Hemden darunter. »Angela Lukosch hat nachweislich bereits in der vergangenen Woche einen Termin für einen Schwangerschaftsabbruch gemacht. Und zwar für den …« Er schielte nach seinen Notizen. »Für den 27. September, also für nächsten Donnerstag.«
»Wie weit sind Sie in der Vaterschaftsfrage?«, wandte sich Hinnrichs an Verhoeven.
»Heribert Scherer und Lukas Wertheim konnte das Labor definitiv ausschließen«, antwortete dieser. »Genauso wie Markus Sahler, den Nachbarn. Die Anwälte der Familien Strohte und Höhmann hingegen verweigern uns eine freiwillige Speichelprobe ihrer Mandanten.«
»Dann zwingen Sie sie.« Hinnrichs wühlte in seinen Akten. »Nehmen Sie sich die Freundin von der kleinen Lukosch noch mal vor und leiern Sie dem Mädchen einen hieb- und stichfesten Beweis dafür aus der Tasche, dass da tatsächlich was gelaufen ist mit diesem Steven Höhmann. Und was Ihren speziellen Freund Sven Strohte angeht … Denken Sie sich was aus, klar?«
»Nehmen wir mal an, Steven Höhmann wäre tatsächlich der Vater von Angela Lukoschs Baby gewesen«, sagte Bredeney, vielleicht, weil er Verhoeven eine Reaktion auf die rhetorische Frage ihres gemeinsamen Vorgesetzten ersparen wollte. Als alter Weggefährte von Verhoevens Mentor empfand er eine Art persönliche Verantwortung für »den Kleinen«, wie Grovius seinen Schützling immer genannt hatte, die sich in Form von vielen prüfenden Blicken und einer Packung Schnapspralinen jedes Jahr zu Weihnachten manifestierte. »In diesem Fall könnte er kalte Füße bekommen haben, als Angela ihm erklärte, dass sie sein Kind behalten will. Vielleicht hat er versucht, sie umzustimmen, aber wenn sie sich tatsächlich einen Jux mit ihm machen wollte, wäre sie auf derartige Überredungsversuche aller Wahrscheinlichkeit nach nicht angesprungen. Das wiederum hätte den Druck auf Steven Höhmann weiter erhöht, und er könnte beschlossen haben, sie zu töten …«
»Wo war dieser Bursche zum Zeitpunkt der Tat?«, fragte Hinnrichs, nachdem er eine Weile hektisch in seinen Unterlagen geblättert hatte, aber anscheinend nicht fündig geworden war.
»Tjaaaa«, sagte Werneuchen, »eigentlich hätte Steven Höhmann in einem Klassenzimmer im zweiten Stock des Neubaus sitzen und Physikunterricht haben sollen. Aber weil in dem besagten Raum der Overheadprojektor kaputt war, befand sich unser Paintball-Held praktischerweise gerade auf dem Weg in die dritte Etage, um Ersatz zu beschaffen, als die ersten Schüsse fielen.«
»Rein theoretisch hätte er es natürlich ganz bewusst so einrichten können, dass der Projektor in Raum 223 nicht funktioniert«, sagte Verhoeven. »Damit er mit der Beschaffung eines Ersatzgeräts beauftragt wird und einen Grund hat, seinen Unterricht zu verlassen.«
»Die Frage ist, ob Steven Höhmann von seiner Persönlichkeit her der Lenker ist, den wir suchen«, wandte Werneuchen ein. »Nach allem, was man so hört, hat er sich ja wohl meistens darauf beschränkt, Lukas Wertheim hinterherzudackeln.«
»Das könnte natürlich auch ein geschickter Schachzug von ihm gewesen sein«, sagte Winnie Heller. »Dieser Devil – wer immer er ist – muss jemand sein, der es versteht, die Gedanken und Handlungen eines anderen zu steuern, ohne dass die betreffende Person sich seiner Einflussnahme überhaupt bewusst wird. Und genau diese Eigenschaften könnte Steven Höhmann in seiner Zeit als …«, sie suchte eine Weile nach dem passenden Wort, »… als
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