Querschläger
unterstrichenes »phantasielos« hinzufügte. »Sagen Sie, haben Sie eigentlich keine Angst, als Lehrer zu versauern?«, fragte sie in Anlehnung an eine Formulierung, die Nicole Herrgen gewählt hatte.
Sander Laurin stutzte kurz. Dann lachte er. Die feinen Linien, die dabei um seine Augen entstanden, gaben ihm etwas überaus Anziehendes, und Winnie Heller dachte, dass er vermutlich einer jener Männer war, die umso besser aussahen, je älter sie wurden. Sie betrachtete seinen locker zurückgeworfenen Kopf und fand, dass es Beate Soltau wahrhaftig nicht zu verübeln war, sich in Sander Laurin verliebt zu haben.
»Versauern? Nein, im Gegenteil«, beantwortete dieser ihre Frage zu seinen beruflichen Perspektiven mit einer Mischung aus Charme und leiser Selbstironie. Seine Stimme war tief und männlich, ein schöner, sonorer Bassbariton. »Durchaus möglich, dass Sie das jetzt für eine Phrase halten, aber ich genieße den Umgang mit jungen Leuten und unterrichte gern.«
»Aber ein Mann, der wie Sie an der Düsseldorfer Akademie studiert hat …«
»… sollte Ihrer Meinung nach mindestens ein eigenes Atelier besitzen?« Sander Laurin lächelte noch immer. »Nun ja, vielleicht haben Sie recht. Aber ich bin auch Pragmatiker und weiß ein regelmäßiges Einkommen durchaus zu schätzen. Ganz abgesehen davon, dass ich schon während meines Studiums nicht umhinkonnte, den kreativen Teil meiner Begabung in realistischen Zusammenhängen zu sehen.«
Das ist ein gutes Stichwort, dachte Winnie Heller. »Und wie stand es mit Nikolas Hrubeschs Talent?«, fragte sie geradeheraus. »Wir haben diesbezüglich schon so viele widersprüchliche Aussagen gehört, dass mich die Meinung eines Fachmannes brennend interessieren würde.«
Sander Laurin antwortete nicht sofort, sondern ließ seine Blicke zunächst eine Weile ziellos durch den Raum schweifen. »Nikolas war durchaus nicht unbegabt«, sagte er nach einer langen Pause, »aber natürlich war er auch kein Künstler. Malen und Zeichnen bedeuteten für ihn eher eine Möglichkeit, etwas an die Oberfläche zu lassen, das er auf andere Art und Weise nicht ausdrücken konnte.«
Verhoeven ließ interessiert seinen Kugelschreiber sinken. »Sah er selbst das genauso?«
»Ich weiß nicht«, entgegnete Sander Laurin, und seine Miene drückte unübersehbare Zweifel aus. »Wir haben nie explizit darüber gesprochen.«
»Aber es war Ihnen schon bewusst, dass Nikolas von dieser … Form des Ausdrucks recht ausgiebig Gebrauch machte, oder?«, fragte Verhoeven. »Ich meine, dass er viel zeichnete und malte.«
Laurin nickte. »Ja, natürlich. Ein paar seiner Arbeiten waren übrigens auch im Rahmen einer Schulausstellung im letzten Frühjahr zu sehen.«
»Weil sie besonders gut waren?«, beharrte Winnie Heller, die das unangenehme Gefühl nicht loswurde, dass Nikolas Hrubeschs Kunstlehrer ihr eine Antwort auf die Frage nach dessen Talent bislang schuldig geblieben war.
»Nein«, sagte Sander Laurin, indem er ihr Gesicht mit seinen wachen grünen Augen abtastete, als suche er dort nach etwas, das sich künstlerisch weiterverarbeiten ließ. »Nicht unbedingt besonders gut, aber durchaus interessant.«
»Interessant in welcher Beziehung?«
»In der Art und Weise, in der sie sich künstlerisch ausdrücken, offenbaren die Menschen ihr eigentliches Potenzial«, entgegnete Sander Laurin achselzuckend. »Das hat nichts mit Qualität zu tun. Oder mit Talent …«
Sven Strohte würde das unter Garantie anders sehen, dachte Winnie Heller bei sich. Und Elli auch!
»Aber heißt es denn nicht, dass Kunst von Können kommt?«, fragte Verhoeven, dessen Gedanken zu ihrer Überraschung in eine ganz ähnliche Richtung zu gehen schienen wie die ihren.
Sander Laurin zog amüsiert die Augenbrauen hoch. »Möglich, dass das früher einmal so gewesen ist«, räumte er ein. »Aber meiner persönlichen Erfahrung nach wird der Marktwert eines Kunstwerks durch gänzlich andere Faktoren bestimmt als durch seine …, ich nenne es mal vorsichtig: handwerkliche Güte. Und genau das macht es so schwierig zu beurteilen, ob es sich lohnt oder nicht lohnt, eine Sache weiterzuverfolgen.« Er sah Winnie Heller direkt in die Augen. »Nichts anderes hätte ich Nikolas gesagt, wenn er mich je nach seinen Chancen als Künstler gefragt hätte, was er – wie schon gesagt – nicht getan hat. Das wollten Sie doch wissen, oder nicht?«
Allmählich verstehe ich, warum dieser Kerl unterrichtet, anstatt ein Atelier zu haben, dachte
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