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Querschläger

Querschläger

Titel: Querschläger Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Silvia Roth
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Gewerbe? »Ich fürchte … Ich habe mich geirrt«, stieß sie hervor, während sie den interessierten Blick der Fremden auf ihrem Gesicht spürte wie eine Berührung, der sie nicht zugestimmt hatte. »Eigentlich wollte ich nur …« Sie hörte ihr eigenes unechtes Lachen. Eine Farce, was sie hier trieb! »Aber … Es … Es hat jede Menge Zeit und … Ach was, sagen Sie ihm einfach, ich rufe ihn an, okay? Gute Nacht.«
    »So warten Sie doch«, rief die Frau, aber Winnie Heller hatte sich bereits abgewandt.
    »Verzeihen Sie, dass ich Sie gestört habe«, entschuldigte sie sich nochmals, ohne sich umzudrehen, und ihre Finger waren plötzlich so klamm, als sei es eisig kalt an diesem lauen Abend.
    »Moment!«, rief die andere. »Bitte warten Sie!«
    Winnie Heller hielt inne und starrte auf die krumm getretenen Platten vor sich. Die Frau war indessen einen Schritt näher getreten und legte ihr von hinten eine Hand auf die Schulter. Es war die verletzte, und eine neuerliche Woge von Schmerz ließ Winnie Heller leise zusammenzucken.
    »Warum kommen Sie nicht erst mal rein, Kindchen?«
    Winnie Heller rührte sich nicht von der Stelle.
    »Wer ist das?«, hörte sie urplötzlich Lübkes sonoren Bass aus einem anderen Teil des Hauses, und erst jetzt wurde ihr endgültig klar, dass sie sich nicht in der Tür geirrt hatte. Dass Lübke tatsächlich nicht allein war. Dass er ein Leben jenseits seines Labors führte, ein Privatleben.
    Jeder Mensch hat das, pochte es hinter ihren Schläfen. Jeder außer dir. Alles, was du hast, ist ein Haufen schmerzender Erinnerungen und ein paar Fische.
    Winnie Heller fühlte, wie ihre Kehle eng wurde. Spürte auf einmal wieder Hände auf ihrem Körper. Die anderen Hände. Seine Hände. Drängend und rau. Seinen Atem, der ihr ins Gesicht schlug wie eine Ohrfeige. Seine Nägel, die sich in ihr Fleisch bohrten und die zarte Haut ihrer Wangen in Fetzen rissen.
    Hilfe suchend griff sie sich an den Hals, aber es war bereits zu spät, und sie konnte nicht verhindern, dass sie sich zum zweiten Mal an diesem Abend übergeben musste. Sie blieb kurz stehen und erbrach sich in die säuberlich gestutzten Büsche neben Lübkes Gartentor.
    Dann rannte sie weiter, stieg in ihren Wagen und fuhr davon.

ii
Zuerst war da so ein Geräusch wie von einer Fehlzündung beim Auto. Ein bisschen lauter vielleicht. Aber wer denkt denn schon an so was? So was wie das passiert im Fernsehen. Irgendwo in Amerika. Oder in irgendwelchen total kranken Games, wo ’s nur darum geht, so viele wie möglich abzuknallen. Aber hier? Bei uns?
Yvonne S., 15, Schülerin der 9. Klasse
Als sich das Geräusch wiederholte, habe ich mich allerdings schon irgendwie gewundert.
Matthias G., 14, Schüler der 8. Klasse
Ich musste nur mal kurz aufs Klo, und eigentlich war alles genau wie immer, wenn ich während des Unterrichts mal eben wohin muss. Schüsse habe ich keine gehört, jedenfalls nicht bewusst, sonst wäre ich ja wohl kaum einfach so über die Flure spaziert, oder? Ich meine, da war vielleicht irgendein entfernter Lärm, mit dem ich nichts anfangen konnte, aber wenn ich es mir genau überlege, glaube ich eigentlich nicht, dass ich überhaupt was gehört habe. Allerdings hatte ich auch die Stöpsel von meinem iPod in den Ohren, weil ich nichts dabei finde, ’n bisschen Musik zu hören, wenn ich sowieso aufs Klo muss. … Im Vorraum von der Toilette roch es dann voll penetrant nach Äpfeln, komisch, aber das weiß ich noch und auch, dass ich dachte, das ist bestimmt wieder so eine kalorienbewusste Kuh gewesen, die hier ihre Vitamine gefressen und gleich hinterher alles wieder ausgekotzt hat. Na ja, wie auch immer. Ich habe meine Ziga … Na, egal. Jedenfalls bin ich dann wieder auf den Gang raus, und da lagen lauter so komische Schnipsel auf dem Boden. Wie Konfetti sah das aus. Ich dachte noch, dass die Putzfrauen voll wenig tun für ihr Geld, obwohl sie doch eigentlich froh sein müssten, dass sie überhaupt einen Job haben, wo die nicht mal richtig Deutsch können und so, und dann hab ich ihn plötzlich gesehen. Er war ganz in Schwarz gekleidet und hatte eine Waffe in der Hand, nein, eigentlich in beiden Händen. Er hielt sie vor seinen Körper, Sie wissen schon, wie es Soldaten machen. Er hatte ein ziemliches Tempo drauf und hat mich, glaube ich, nicht gesehen. Dann ist er um die Ecke und war weg.
Jenny H., 17, Schülerin der 11. Klasse
Damals, wie das in Erfurt passiert ist, gab’s hier an unserer Schule einen Gottesdienst. Aus

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