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Quicksilver

Quicksilver

Titel: Quicksilver Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Neal Stephenson
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wie Ben auffallen oder dass es Ben zu Daniel hinziehen musste oder beides. »Kennst du den Weg?«
    »Natürlich.«
    »Steig auf!«, befiehlt Enoch mit einer Kopfbewegung zu dem Pferd hin. Das lässt sich Ben nicht zweimal sagen. Wie der Blitz ist er aufgesessen. Enoch folgt ihm so rasch, wie es Würde und Trägheitsmoment zulassen. Sie teilen sich den Sattel, Ben auf Enochs Schoß, die Beine nach hinten geschoben und zwischen Enochs Knien und dem Brustkorb des Pferdes eingeklemmt. Dem Pferd haben Fähre und Fakultät insgesamt gar nicht zugesagt, und es klappert über die Laufplanke, sobald diese herabgelassen worden ist. Einige der leichtfüßigeren Doktoren verfolgen sie durch die Straßen von Charlestown. Aber so viele Straßen hat Charlestown nicht, deshalb ist die Jagd bald vorüber. Dann gelangen sie in das stinkende Moor auf der Westseite der Stadt. Das erinnert Enoch stark an eine andere sumpfige, schmutzige, von üblen Gerüchen durchzogene Stadt voller Gelehrter: Cambridge in England.
     
    »In das Wäldchen dort, dann durch den Bach«, schlägt Ben vor. »Wir werden die Professoren hinter uns lassen und vielleicht Godfrey finden. Als wir auf der Fähre waren, habe ich ihn mit einem Eimer dorthin gehen sehen.«
    »Ist Godfrey der Sohn von Dr. Waterhouse?«
    »Ja, Sir. Zwei Jahre jünger als ich.«
    »Ist sein zweiter Name zufällig William?«
    »Woher wisst Ihr das, Mr. Root?«
    »Er ist vermutlich nach Gottfried Wilhelm Leibniz benannt.«
    »Ein Freund von Euch und Sir Isaac?«
    »Von mir ja.Von Sir Isaac nicht – und dem liegt eine Geschichte zugrunde, die zu lang ist, um sie jetzt zu erzählen.«
    »Würde sie ein Buch füllen?«
    »In Wirklichkeit würde sie mehrere Bücher füllen – dabei ist sie noch nicht einmal zu Ende.«
    »Wann wird sie denn zu Ende sein?«
    »Manchmal fürchte ich, niemals. Aber du und ich, Ben, wir werden sie zu ihrem heutigen Schlussakt bringen. Wie weit ist es denn noch bis zum Massachusetts Bay Colony Institut der Technologischen Wissenschaften?«
    Ben zuckt die Achseln. »Es liegt auf halbem Wege zwischen Charlestown und Harvard. Aber nahe am Fluss. Über eine Meile. Vielleicht nicht ganz zwei.«
    Das Pferd ist nicht geneigt, das Wäldchen zu betreten, weshalb sich Ben herabgleiten lässt und zu Fuß hineingeht, um den kleinen Godfrey aufzuspüren. Enoch findet eine Stelle zum Überqueren des Baches, der durch das kleine Gehölz verläuft, und umreitet es bis auf die andere Seite, wo er Ben dabei antrifft, wie dieser mit einem kleineren, blasseren Burschen um Äpfel rauft.
    Enoch sitzt ab, handelt einen Frieden aus und treibt die Knaben dann zur Eile an, indem er ihnen einen Ritt auf dem Pferd anbietet. Enoch geht voraus und führt es am Zügel; sehr bald aber ahnt das Pferd, dass sie zu einem Holzhaus in der Ferne unterwegs sind. Denn es ist das einzige Gebäude weit und breit, und es führt ein schwach erkennbarer Pfad zu ihm hin. Von da an muss Enoch nur noch nebenher gehen und dem Tier ab und zu einen Apfel füttern.
    »Wie ihr beide euch an diesem öden, windigen Ort voller Puritaner um Äpfel gerauft habt, dieser Anblick hat mich an etwas Bemerkenswertes erinnert, das ich vor langer Zeit gesehen habe.«
    »Wo denn?«, fragt Godfrey.
    »In Grantham, Lincolnshire. Das ist eine Gegend in England.«
    »Vor wie langer Zeit genau?«, will Ben, ganz der Empiriker, wissen.
    »Diese Frage ist schwieriger, als sie sich anhört, denn an dergleichen erinnere ich mich nur höchst unpräzise.«
    »Warum habt Ihr euch denn an diesen öden Ort begeben?«, fragt Godfrey.
    »Um nicht mehr geplagt zu werden. In Grantham wohnte ein Apotheker mit Namen Clarke, ein unermüdlicher Plagegeist.«
    »Warum seid ihr denn dann zu ihm gegangen?«
    »Er hatte mich mit Briefen geplagt, wollte, dass ich ihm bestimmte, für sein Gewerbe erforderliche Substanzen liefere. Er hatte das jahrelang getan – seit es wieder möglich war, Briefe zu schicken.«
    »Was machte es möglich?«
    »In meinen Breiten – denn ich wohnte in einer Stadt in Sachsen mit Namen Leipzig – der Westfälische Friede.«
    »1648!«, sagt Ben professoral zu dem jüngeren Knaben. »Das Ende des Dreißigjährigen Krieges.«
    »In seiner Ecke der Welt«, fährt Enoch fort, »war es die Abtrennung des Königshauptes vom Rest des Königs, die dem Bürgerkrieg ein Ende machte und England so etwas wie Frieden schenkte.«
    »1649«, murmelt Godfrey, ehe Ben zu Wort kommen kann. Enoch fragt sich, ob Daniel so instinktlos war, seinen

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