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Quicksilver

Quicksilver

Titel: Quicksilver Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Neal Stephenson
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alle darüber. Aber im jetzigen Krieg passiert es nicht öfter als sonst, glaube ich.«
    »Waren es Comstock-Kanonen?«
    Der Deutsche brauchte einen Moment, um zu begreifen, dass er sich, ohne überhaupt einen Fuß auf englischen Boden gesetzt zu haben, mit seinem Gerede in große Schwierigkeiten gebracht hatte. »Sir! Die Kanonen von Lord Epsom gelten als die besten der Welt.«
    Aber solches Gerede wollte niemand hören. Das Thema hatte gewechselt.
    »Woher seid Ihr nach Calais gekommen?«
    »Aus Paris.«
    »Habt Ihr auf Eurer Reise durch Frankreich Truppen auf dem Marsch gesehen?«
    »Wenige, erschöpft, auf dem Weg nach Süden.«
    Die Herren auf dem Pfeilerkopf verharrten einen Moment lang unschlüssig, während sie dies verarbeiteten. Einer löste sich aus der Schar, kämpfte sich zur Treppe zurück und wurde von barfüßigen Jungen umringt, die auf und ab hüpften. Er kritzelte etwas auf ein Stück Papier und gab es demjenigen, der am höchsten hüpfte. Dieser wirbelte herum, drängte sich zwischen den anderen hindurch, sprang, immer vier Stufen auf einmal nehmend, die Treppe hinauf, lief auf den Square hinaus, setzte über einenWagen, rannte beinahe ein Fischweib um und wurde dann auf der Brücke immer schneller. Von hier bis ans Londoner Ufer waren es etwas mehr als hundert, von dort bis zur Börse sechshundert Ellen – in drei Minuten würde er dort sein. Unterdessen ging die Befragung weiter: »Habt Ihr im Kanal Kriegsschiffe gesehen, mein Herr? Englische, französische, holländische?«
    »Es herrschte -« und hier ließ den Mann sein Englisch im Stich. Er machte eine hilflose, ausladende Geste.
    »Nebel!«
    »Nebel«, wiederholte er.
    »Habt Ihr Geschütze gehört?«
    »Ein paar – aber es handelte sich sehr wahrscheinlich nur um Signale. Kodierte Daten , befördert durch den Nebel, der für Licht so undurchdringlich, für Schall dagegen so durchlässig ist -« und hier verlor er die Kontrolle über seine intellektuellen Schließmuskeln, begann laut auf Französisch, angereichert mit Latein, zu denken und entwarf ein System zur Sendung verschlüsselter Daten von Ort zu Ort mithilfe von Explosionen, wobei er sich auf Gedanken aus Wilkins’ Cryptonomicon stützte, diese jedoch mit einem praktischen Konzept verband, das dank seines verschwenderischen Pulververbrauchs John Comstock gewiss gefallen würde. Mit anderen Worten, er gab sich (jedenfalls für Daniel) als Dr. Gottfried Wilhelm Leibniz zu erkennen. Die Umstehenden verloren das Interesse und begannen ihre Fragen an ein anderes Boot zu richten.
    Leibniz setzte den Fuß auf englischen Boden. Ihm folgten dichtauf zwei weitere deutsche Herren, etwas älter, viel weniger gesprächig und (wie Daniel nur vermuten konnte) bedeutender, ihrerseits gefolgt von einem älteren Bedienten, der eine kurze Kolonne Kisten und Taschen schleppender Träger anführte. Leibniz jedoch hatte sich einen Holzkasten aufgebürdet, den er nicht hergeben wollte. Daniel trat vor, um die drei Männer zu begrüßen, wurde jedoch von einem ungehobelten Menschen daran gehindert, der sich dazwischen drängte, einem der älteren Herren einen versiegelten Brief überreichte und einen Moment lang in niederdeutscher Sprache auf ihn einflüsterte.
    Verärgert straffte sich Daniel. Der Zufall wollte es, dass er zum Londoner Ufer hinübersah. Sein Blick verharrte auf einem Kai unmittelbar flussabwärts der Brücke: einem wirren Haufen geschwärzten, vom Feuer übriggelassenen Schutts. Man hätte ihn schon vor Jahren wieder aufbauen können, hatte es aber nicht getan, weil man es für wichtiger erachtet hatte, zuerst anderes wieder aufzubauen. Ein paar Männer waren dort mit hochgeistiger Arbeit befasst, zogen Linien und fertigten Skizzen. Einer davon war – unglaublicherweise – zufällig Robert Hooke, der Stadtplaner, von dem sich Daniel vor einer Stunde in aller Stille im Gresham’s College absentiert hatte. Nicht ganz so unglaublicherweise (angesichts dessen, dass er Hooke war) hatte er Daniel bemerkt, wie er dort auf dem Pfeilerkopf mitten im Fluss stand und ganz offenkundig eine ausländische Delegation willkommen hieß, weshalb er finster brütende Blicke schoss.
    Leibniz und die anderen besprachen sich auf Hochdeutsch. Der Störenfried drehte sich um und sah Daniel an. Es handelte sich um einen der Laufburschen-plus-Spione des holländischen Botschafters. Die Deutschen einigten sich auf ihr weiteres Vorgehen, und es schien darauf hinauszulaufen, dass man sich trennte. Daniel

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