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Quicksilver

Quicksilver

Titel: Quicksilver Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Neal Stephenson
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Stunden damit, sich in der Nachbarschaft des Square herumzudrücken, denn er wartete auf einen ganz bestimmten Mann in einem ganz bestimmten Boot. Das Boot, auf das er wartete, würde allerdings aus der anderen Richtung kommen, d.h. sich vom Meer her stromaufwärts kämpfen.
    Er setzte sich in ein Kaffeehaus und amüsierte sich damit, verschwitzte Fährenpassagiere mit roten Gesichtern am Kopf der Treppe auftauchen zu sehen, als wären sie von selbst aus den übel riechenden Wassern der Themse entstanden. Sie schleppten sich auf einen Halben in die nächstgelegene Schänke, um sich für die Überquerung der zwölf Fuß breiten Brückenstraße zu stärken, wo mehrmals die Woche Passagiere zwischen Fuhrwerken zerquetscht wurden. Wenn sie das überlebten, schauten sie zur Erholung auf einen raschen Kauf beim Handschuhmacher oder Kurzwarenhändler vorbei und setzten sich dann vielleicht noch auf einen schnellen Becher Java in dieses Kaffeehaus. Der Rest der London Bridge kam ziemlich herunter, weil in anderen Teilen der Stadt von Sterling und seinesgleichen sehr viel vornehmere Läden aufgemacht wurden, aber der Square florierte und war wegen der ständigen Gefahr von Havarie und Ertrinkungstod der vergnüglichste Ort von London.
    Und in jenen Tagen war er in aller Regel auch dicht bevölkert, besonders wenn Schiffe über den Kanal kamen, im Pool Anker warfen und ihre vom Kontinent kommenden Passagiere in Booten hierher befördert wurden.
    Während ein solches Boot sich der Brücke näherte, trank Daniel seinen Kaffee aus, beglich seine Rechnung und begab sich auf die Straße hinaus. Der Karren- und Rollwagenverkehr war durch eine Schar von Fußgängern zum Erliegen gekommen. Alle wollten sie auf den Pfeilerkopf auf der flussabwärts gelegenen Brückenseite hinabsteigen, und sie bildeten so etwas wie einen Pfropf, der nicht nur die Treppe, sondern auch die Straße verstopfte. Da es im Großen und Ganzen offensichtlich Geschäftsleute waren, denen es um ein ernsthaftes Anliegen, und keine Vagabunden, denen es um seine Börse ging, schob sich Daniel in diese Menge, von der er gleich darauf bis an den Kopf der Treppe eingesogen und zusammen mit den anderen zum Pfeilerkopf hinuntergespült wurde. Zunächst nahm er an, alle diese gut gekleideten Männer seien gekommen, um bestimmte Passagiere abzuholen. Doch als das Boot in Hörweite kam, begannen sie, in mehreren Sprachen nicht freundliche Begrüßungen, sondern Fragen nach dem Krieg zu rufen.
    »Als potestantischer Glaubensbruder – wiewohl Lutheraner – hege ich die Hoffung, dass England und Holland sich versöhnen und dass der Krieg, von dem Ihr sprecht, ein Ende findet.«
    Der junge Deutsche stand, nach der französischen Mode gekleidet, im Boot. Doch als es sich den aufgewühlten Wassern auf der stromabwärts gelegenen Brückenseite näherte, kam er zur Vernunft und setzte sich.
    »So viel zu Euren Hoffnungen – aber wie steht’s mit Euren Beobachtungen, Sir?«, gab irgendwer zurück – einer von ein paar Dutzend, die sich mittlerweile auf dem Pfeilerkopf drängten und versuchten, so nahe wie möglich an die ankommenden Boote und Fähren heranzukommen, ohne in den tödlichen Strudel zu fallen. Andere thronten wie Wasserspeier oben am Rande des Square, und wieder andere schwammen in Booten auf dem Fluss und hielten Abfangkurs wie Seeräuber in der Karibik. Keiner von ihnen wollte etwas von dieser lutherischen Diplomatie wissen. Keiner hatte eine Ahnung, wer der junge Deutsche überhaupt war – einfach nur ein Schiffspassagier aus dem Ausland, der bereit war zu reden. Auf demselben Boot befanden sich noch mehrere andere Reisende, die das Geschrei der Londoner aber allesamt ignorierten. Falls sie Informationen besaßen, würden sie damit zur Börse gehen, sich ihre Geschichte versilbern lassen und sie über die chtonischen Kanäle des Marktes verbreiten.
    »Auf welchem Schiff wart Ihr, Sir?«, bellte jemand.
    »Auf der Ste-Catherine, Sir.«
    »Woher kommt dieses Schiff, Sir?«
    »Aus Calais.«
    »Habt Ihr Euch mit Angehörigen der Flotte unterhalten?«
    »Ein wenig, vielleicht.«
    »Irgendwelche Nachrichten oder Gerüchte von explodierenden Kanonen auf englischen Schiffen?«
    »Nun ja, es kommt zuweilen vor. Auf den Schiffen im mêlée sieht es jeder, denn es sprengt die ganze Rumpfseite auf, und die Leiber fliegen heraus, so heißt es jedenfalls. Allen Seeleuten, ob Freund oder Feind, ist es vielleicht eine Lektion über die Sterblichkeit. Infolgedessen reden sie

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