Quicksilver
fragte er und unterzog Daniel einer raschen Musterung. Seine Augen waren beunruhigend. Klein und glänzend oder aber durchdringend, je nachdem, welche Art von Monster er war.
»Ich bin sechsundzwanzig.«
»Ich auch. Wir sind also um 1646 geboren. In dem Jahr haben die Schweden Prag erobert und sind in Bayern einmarschiert. Die Inquisition hat Juden in Mexiko verbrannt. Ähnlich schreckliche Dinge sind in England passiert, nehme ich an?«
»Cromwell hat die Armee des Königs bei Newark vernichtet – hat ihn aus dem Land gejagt – John Comstock ist verwundet worden -«
»Und wir sprechen hier nur von Königen und Edelleuten. Stellt Euch die Leiden von einfachen Menschen und Vagabunden vor, die in Gottes Augen von gleichem Rang sind. Und dennoch fragt Ihr mich, ob meine Mission philosophischer oder diplomatischer Natur sei, als ob sich beides säuberlich trennen ließe.«
»Grob und dumm, ich weiß, aber es ist nun einmal meine Pflicht, Konversation zu machen. Ihr sagt, es müsse das Ziel jedes Naturphilosophen sein, der Menschenwelt Frieden und Harmonie wiederzugeben. Das kann ich nicht bestreiten.«
Leibniz wurde dadurch milder gestimmt. »Unser Ziel besteht darin zu verhindern, dass der holländische Krieg sich zum Weltenbrand ausweitet. Bitte nehmt jetzt keinen Anstoß an meiner Offenheit: Der Erzbischof und der Baron sind Gefolgsleute der Royal Society – genau wie ich. Sie sind Alchimisten – was ich nicht bin, außer auf politischem Gebiet. Sie hoffen, dass ich durch Ausübung der Naturphilosophie Verbindungen zu wichtigen Persönlichkeiten in diesem Lande knüpfen kann, die über diplomatische Kanäle normalerweise nur schwer zu erreichen wären.«
»Vor zehn Jahren hätte ich vielleicht Anstoß genommen«, sagte Daniel. »Mittlerweile gibt es nichts mehr, was ich nicht glaube.«
»Aber mein Interesse an einer Begegnung mit dem Lord Bischof von Chester ist so rein, wie es ein menschlicher Beweggrund nur sein kann.«
»Das wird er spüren, und es wird ihn aufheitern«, sagte Daniel. »In den letzten Jahren hat Wilkins sein Leben ganz und gar der Politik geweiht – er hat darauf hingearbeitet, die Strukturen der Theokratie zu demontieren, um ihr Wiederaufleben zu verhindern, falls einmal ein Papist den Thron besteigt -«
»Oder schon bestiegen hat«, sagte Leibniz sofort.
Die beiläufige Art, mit der Leibniz andeutete, dass König Charles II. ein verkappter Katholik sein könnte, deutete für Daniel darauf hin, dass dies auf dem Kontinent allgemein bekannt war. Er kam sich deshalb hoffnungslos begriffstutzig, naiv und provinziell vor. Er hatte den König schon vieler Verbrechen und Täuschungen verdächtigt, niemals aber geargwöhnt, dass er das gesamte Reich hinsichtlich seines religiösen Glaubens belog.
Er hatte reichlich Zeit, seine Verärgerung zu verbergen, da sie nun das Herz der City durchquerten, das sich in eine einzige riesige, immer währende Baustelle verwandelt hatte, während die normalen Geschäfte der Börse und der Goldschmiede weiterliefen. Pflastersteine sausten wie Kanonenkugeln zwischen Daniel und dem Doktor hindurch, Schaufeln durchschnitten die Luft um ihre Köpfe wie Entermesser, mit Gold, Silber und Ziegelsteinen beladene Karren rollten wie Munitionswagen über provisorische Gehwege aus Planken und festgestampftem Lehm.
Vielleicht weil er Daniels Gesicht die Besorgnis ansah, sagte Leibniz mit lässiger Handbewegung: »Genau wie die Rue Vivienne in Paris. Ich bin oft dort, um in der Bibliothèque du Roi bestimmte Manuskripte zu lesen.«
»Ich habe mir sagen lassen, von jedem Buch, das in Frankreich gedruckt wird, müsse ein Exemplar dorthin geschickt werden.«
»Ja.«
»Aber sie wurde im selben Jahr gegründet, in dem hier die Feuersbrunst wütete – also muss sie wohl noch ziemlich klein sein, da sie nur ein paar Jahre zum Wachsen hatte.«
»Ein paar gute Jahre in der Mathematik, Sir. Und außerdem enthält sie bestimmte unveröffentlichte Manuskripte von Descartes und Pascal.«
»Aber keinen der Klassiker?«
»Ich hatte das Glück, in der Bibliothek meines Vater großgezogen zu werden oder mich selbst großzuziehen, und diese enthielt sie alle.«
»Euer Vater hatte mathematische Neigungen?«
»Schwer zu sagen. Wie ein Reisender eine Stadt nur dadurch versteht, dass er Bilder von ihr betrachtet, die aus verschiedenen Blickwinkeln gezeichnet sind, kenne ich meinen Vater nur aufgrund der Lektüre der Bücher, die er gelesen hat.«
»Nun verstehe ich den
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