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Quicksilver

Quicksilver

Titel: Quicksilver Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Neal Stephenson
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mischte sich ein und stellte sich vor.
    Zwar wurden die anderen Deutschen mit Namen vorgestellt, entscheidend war jedoch ihre Herkunft: Einer war der Neffe des Erzbischofs von Mainz, der andere der Sohn des Barons von Boyneburg, der Minister ebendieses Erzbischofs war. Mit anderen Worten, sehr bedeutende Personen in Mainz und von daher ziemlich bedeutende Personen im Heiligen Römischen Reich, das sich in der französisch/ englisch/holländischen Auseinandersetzung mehr oder weniger neutral verhielt. Die Sache wies mithin alle Anzeichen einer Frieden stiftenden Mission auf.
    Leibniz wusste, wer Daniel war, und fragte: »Lebt Wilkins noch?«
    »Ja...«
    »Gott sei Dank!«
    »Er ist allerdings schwer krank. Wenn Ihr ihn besuchen möchtet, würde ich vorschlagen, es sofort zu tun. Ich begleite Euch gerne, Dr. Leibniz... darf ich um die Ehre bitten, Euch mit diesem Kasten behilflich sein zu dürfen?«
    »Ihr seid sehr höflich«, sagte Leibniz, »aber ich trage ihn selbst.«
    »Wenn er Gold oder Edelsteine enthält, haltet Ihr ihn am besten ganz fest.«
    »Sind die Straßen von London nicht sicher?«
    »Sagen wir so: Die Friedensrichter kümmern sich hauptsächlich um Dissenter und Holländer, und unsere Beutelschneider haben sich rasch darauf eingestellt.«
    »Der Inhalt dieses Kastens ist unendlich viel wertvoller als Gold«, sagte Leibniz und nahm die Treppe in Angriff, »und kann dennoch nicht gestohlen werden.«
    Daniel stürzte vorwärts, um Schritt zu halten. Leibniz war schlank, von mittlerer Größe, und er neigte dazu, sich beim Gehen nach vorn zu beugen, sodass der Kopf den Füßen vorauseilte. Auf Straßenhöhe angelangt, bog er scharf ab und schritt auf die City of London zu, ohne die diversen Schänken und Läden zu beachten.
    Wie ein Monstrum sah er nicht aus.
    Laut Oldenburg hatten die Pariser, die den Salon im Hotel Montmor – noch am ehesten die französische Entsprechung der Royal Society – frequentierten, zur Bezeichnung von Leibniz das lateinische Wort monstrum zu benutzen begonnen. Immerhin Männer, die Descartes und Fermat noch persönlich gekannt hatten und Übertreibungen für eine unsäglich vulgäre Angewohnheit hielten. Einige Mitglieder der R. S. hatten daraufhin etymologische Forschungen angestellt. Bedeutete das Wort, dass Leibniz von grotesker Missgestalt war? Ein unnatürliches Mischwesen aus Mensch und irgendetwas anderem? Eine göttliche Warnung?
    »Zu seiner Wohnung geht es hier entlang, nicht wahr?«
    »Der Bischof hat wegen seiner Krankheit umziehen müssen – er wohnt im Hause seiner Stieftochter in der Chancery Lane.«
    »Also gehen wir trotzdem hier entlang – und dann links.«
    »Seid Ihr schon einmal in London gewesen, Dr. Leibniz?«
    »Ich habe Gemälde von London studiert.«
    »Die meisten davon, fürchte ich, sind nach dem großen Brand zu antiquarischen Kuriositäten geworden – wie Stadtpläne von Atlantis.«
    »Und trotzdem ist es in gewisser Weise erhellend, sich Darstellungen selbst einer imaginären Stadt anzusehen«, sagte Leibniz. »Jeder Maler kann die Stadt zur gleichen Zeit immer nur von einem Standpunkt aus betrachten, deshalb wird er nicht an einer Stelle verharren, sondern sie auf der einen Seite von einem Hügel, dann auf der anderen von einem Turm und dann in der Mitte von einer großen Kreuzung aus malen – alles auf derselben Leinwand. Wenn wir die Leinwand betrachten, können wir im Kleinen nachvollziehen, wie Gott das Universum versteht – denn Er sieht es gleichzeitig von jedem Standpunkt aus. Indem Er die Welt mit so vielen verschiedenen Köpfen bevölkert, deren jeder seinen eigenen Standpunkt hat, vermittelt uns Gott eine Ahnung davon, was es heißt, allwissend zu sein.«
    Daniel beschloss, ein kleines Stück zurückzubleiben und Leibniz’ Worte nachhallen zu lassen, wie es etwa bei Orgelakkorden in lutherischen Kirchen der Fall sein musste. Unterdessen hatten sie das Nordende der Brücke erreicht, wo der Lärm der im Steingewölbe des Torhauses eingeschlossenen und konzentrierten Wasserräder jedes Gespräch unmöglich machte. Erst als sie auf trockenes Land gelangt waren und die Steigung der Fish Street in Angriff nahmen, fragte Daniel: »Wie ich sehe, habt Ihr bereits mit dem holländischen Botschafter Verbindung aufgenommen. Darf ich annehmen, dass Eure Mission nicht durchweg naturphilosophischer Natur ist?«
    »Eine vernünftige Frage – jedenfalls in gewisser Weise«, brummelte Leibniz. »Sind wir ungefähr gleichaltrig, Ihr und ich?«,

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