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Quicksilver

Quicksilver

Titel: Quicksilver Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Neal Stephenson
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phantastischen Abenteuers der vergangenen Minuten ohnehin vollkommen belanglos aus. Seine Hand und in geringerem Maße auch sein Gesicht waren rot und wund von Verbrennungen, und er vermutete, dass er für ein paar Wochen ohne Augenbrauen würde auskommen müssen. Ein rascher Kleiderwechsel und eine Katzenwäsche waren angezeigt; kein Problem, da er im ersten Stock wohnte.
    Dies getan, nahm Daniel die Abhandlung über Tangenten, schüttelte die schwarzen Flöckchen, die sie neu interpunktierten, davon ab und ging zur Tür hinaus. Es war nicht mehr als ein Zehntel alles dessen, was Isaac mit Fluxionen zustande gebracht hatte, aber es war wenigstens ein kleiner Beleg – besser als gar nichts – und allemal ausreichend, um die meisten Fellows der Royal Society auf Wochen mit Kopfschmerzen ans Bett zu fesseln. Die Nacht über ihm war klar, die Sicht ausgezeichnet, über das Trinity College breiteten sich die Geheimnisse des Universums. Aber Daniel senkte den Blick und stapfte auf den dunstigen Lichtkegel zu, wo alle warteten.

London Bridge
    1673
Sind nun die charakteristischen Zahlen einmal für die meisten Begriffe festgesetzt, so wird das Menschengeschlecht gleichsam ein neues Instrument besitzen, welches das Leistungsvermögen des Geistes weit mehr erhöhen wird als optische Gläser die Sehschärfe der Augen fördern, und das die Mikroskope und Teleskope in dem gleichen Maße übertreffen wird, wie die Vernunft dem Gesichtssinn überlegen ist.
Leibniz, Philosophische Schriften,
Hrsg. u. übers. von Herbert Herring
    Ungefähr in der Mitte der London Bridge, etwas näher bei der Stadt als bei Southwark, befand sich eine Feuerbresche – eine schmale Unterbrechung der Gebäudereihe, wie eine Zahnlücke in einem ansonsten kompletten Gebiss. Triebe man in einem Boot flussabwärts, sodass man alle neunzehn gedrungenen Pfeiler, die die Brücke hielten, und alle zwanzig Kieselsandsteinbögen und hölzernen Zugbrücken, unter denen das Wasser hindurchfloss, sähe, so könnte man erkennen, dass sich dieser Durchbruch – man nannte ihn »Square« – genau über einem Bogen auftat, der breiter war als die anderen – an der breitesten Stelle vierunddreißig Fuß.
    Während man sich der Brücke weiter näherte und immer deutlicher würde, dass man sich in höchster Lebensgefahr befand, sodass der Verstand sich auf praktische Fragen konzentrierte, fiele einem etwas noch Wichtigeres auf – nämlich dass der Schleusenkanal zwischen den Pfeilerköpfen – den schneeschuhförmigen Schuttsockeln, die den Pfeilern als Fundamente dienten – an dieser Stelle ebenfalls breiter war als irgendwo sonst unter der Brücke. Infolgedessen wirkte die Durchfahrt an dieser Stelle nicht so sehr wie ein brodelnder Katarakt, sondern wie ein in der Schneeschmelze des Frühjahrs von den Bergen herabstürzender Wildbach. Wäre man noch imstande, darauf zuzusteuern, so würde man es tun. Und wäre man Passagier auf diesem hypothetischen Boot und wäre das eigene Leben einem lieb, so würde man darauf bestehen, dass der Bootsführer einen Moment lang an der Spitze des Pfeilerkopfes festmachte und einen austeigen ließ, sodass man sich einen Weg über diese Aufhäufung ineinander verkanteter, mehr oder weniger alter Trümmer und den als Füllmaterial verwendeten, schlammigen Schutt suchen, eine Treppe bis auf Straßenhöhe erklimmen, über den Square laufen, ohne dabei zu vergessen, den in beide Richtungen jagenden Karren auszuweichen, eine andere Treppe auf die andere Seite des Pfeilerkopfes hinabsteigen und dann darüberhin hüpfen, schlittern und stolpern könnte, bis man am Ende anlangte, wo der Bootsführer darauf warten würde, einen wieder aufzunehmen, sofern denn sein Boot und er noch existierten.
    Jedenfalls fand vieles, was an dem Square genannten Teil der London Bridge merkwürdig war, hierin seine Erklärung. Leute, die auf Themsebooten nach Osten und Westen fuhren, waren in aller Regel reicher und bedeutender als jene, die auf der Brücke nach Norden und Süden unterwegs waren, und wem wirklich so viel an seinem Leben, seinem Besitz und der Gesundheit seiner Glieder lag, dass er sich die Mühe machte, den Pfeilerkopf zu Fuß hinter sich zu bringen, der war in aller Regel noch reicher und noch bedeutender, sodass die Gebäude, die zu beiden Seiten des Square auf der Brücke standen, für Einzelhändler und Gastwirte der besseren Sorte eine ausgezeichnete Geschäftslage darstellten.
    Eines Morgens verbrachte Daniel Waterhouse ein paar

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