Quicksilver
das ist ein Anagramm von Oldenburg.«
Daniel knirschte ein Weilchen mit den Zähnen, als er daran dachte, wie lange er gebraucht hatte, um dieses Anagramm zu entziffern, dann fuhr er fort: »Hooke ist überzeugt, dass Oldenburg ihm seine Erfindungen stiehlt – sie in verschlüsselten Briefen ins Ausland übermittelt. Schlimmer noch, er hat gesehen, wie Ihr Euch an der Brücke ausgeschifft und von einem bekannten Holländer einen Brief überreicht bekommen habt. Er wird wissen wollen, in welche kontinentalen Intrigen Ihr verstrickt seid.«
»Es ist kein Geheimnis, dass mein Gönner der Erzbischof von Mainz ist«, wandte Leibniz ein.
»Aber Ihr habt gesagt, Ihr wärt Lutheraner.«
»Das bin ich auch – aber eines der Ziele des Erzbischofs ist die Versöhnung der beiden Kirchen.«
» Hier sagt man, es gebe mehr als zwei«, erinnerte ihn Daniel.
»Ist Hooke ein religiöser Mensch?«
»Wenn Ihr damit meint, ob er zur Kirche geht, dann nicht«, gab Daniel nach einigem Zögern zu. »Wenn Ihr aber meint, ob er an Gott glaubt, würde ich sagen, ja – das Mikroskop und das Teleskop sind seine Kirchenfenster, die Animalcules in einem Tropfen Samen oder die Schatten auf den Ringen des Saturns seine himmlischen Visionen.«
»Also gleicht er Spinoza?«
»Ihr meint, er sagt, Gott sei nichts weiter als die Natur? Das bezweifle ich.«
»Was will Hooke?«
»Er ist den ganzen Tag damit beschäftigt, neue Gebäude zu entwerfen und neue Straßen zu vermessen – »
»Ja, und ich bin damit beschäftigt, das deutsche Corpus juris zu reformieren – aber das ist nicht das, was ich will.«
» Mr. Hooke spinnt diverse Pläne und Intrigen gegen Oldenburg -«
»Aber doch gewiss nicht, weil er das will?«
» Er verfasst Abhandlungen und Vorträge -«
Leibniz schnaubte. »Kein Zehntel von dem, was er weiß, ist zu Papier gebracht, oder?«
»Was Hooke angeht, müsst Ihr im Auge behalten, dass man ihn nur schwer versteht, teils wegen seiner Buckeligkeit, teils wegen seiner schwierigen persönlichen Eigenarten. In einer Welt, in der sich viele immer noch weigern, die kopernikanische Hypothese anzuerkennen, würden einige von Hookes fortgeschritteneren Ideen als gute Gründe gelten, ihn ins Irrenhaus zu sperren.«
Leibniz bekam schmale Augen. »Es handelt sich also um Alchimie?«
»Mr. Hooke verachtet die Alchimie.«
»Gut!«, entfuhr es Leibniz – höchst undiplomatisch. Daniel tarnte ein Lächeln mit seiner Kaffeetasse. Leibniz machte ein entsetztes Gesicht, weil er befürchtete, Daniel wäre womöglich selbst Alchimist. Daniel beruhigte ihn mit einem Zitat von Hooke: »›Warum sollten wir uns bemühen, Geheimnisse in dem zu entdecken, das dergleichen nicht enthält? Und wie Rabbiner Kabbalistik und Rätsel in der Gestalt und Anordnung von Buchstaben finden, wo doch derlei nicht darin verborgen liegt: In Naturformen dagegen werden... je stärker wir den Gegenstand vergrößern, desto mehr Vorzüge und Geheimnisse offenbar; und desto mehr erkennen wir die Unvollkommenheiten unserer Sinne und die Allmacht und den unendlichen Weitblick des großen Schöpfers.‹«
»Hooke glaubt also, die Geheimnisse der Welt sind in irgendeinem mikroskopischen Vorgang aufzufinden.«
»Ja – Schneeflocken zum Beispiel.Wenn jede Schneeflocke einmalig ist, warum sind dann die sechs Arme einer Schneeflocke jeweils gleich?«
»Wenn wir davon ausgehen, dass die Arme von der Mitte nach außen gewachsen sind, dann muss es in dieser Mitte etwas geben, das jeden dieser sechs Arme mit dem gleichen Ordnungsprinzip durchdringt – so wie alle Eichen und alle Linden ein gemeinsames Wesen haben und zur gleichen allgemeinen Form heranwachsen.«
»Aber von irgendeinem geheimnisvollen Wesen zu sprechen, heißt genau wie die Scholastiker zu sein – Aristoteles, in ein Wams gesteckt«, sagte Daniel.
»Oder in den Mantel eines Alchimisten«, gab Leibniz zurück.
»Einverstanden. Newton würde argumentieren -«
»Dieser Mensch, der das Fernrohr erfunden hat?«
»Ja. Er würde argumentieren, dass man, könnte man eine Schneeflocke auffangen, sie schmelzen und ihr Wasser destillieren, daraus irgendeine Essenz extrahieren könnte, welche die Verkörperung ihres Wesens in der physischen Welt wäre und ihre Form erklärte.«
»Ja – das ist sozusagen ein gutes Destillat der alchimistischen Geisteshaltung – die in dem Glauben besteht, dass alles, was wir nicht verstehen können, irgendein physisches Residuum haben muss, das sich im Prinzip aus grober
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