Quicksilver
fand, nicht in seinen Windschatten zu geraten.
Dieser reiche Mann hatte Jack angestellt und dafür gesorgt, dass er einen so genannten Pestausweis bekam: ein umfangreiches Dokument in gotischer Schrift mit gelegentlichen Ausflügen in etwas, was entweder wie Latein (wenn es angebracht erschien, um die Gnade und Barmherzigkeit Gottes zu flehen) oder Französisch (um König Louie, der damals nur einen Rang hinter Gott lag, in den Arsch zu kriechen) 35 aussah. Indem er immer zur rechten Zeit damit wedelte, konnte Jack seinen Auftrag erfüllen, der darin bestand, sich nach Straßburg und dort zum Haus des reichen Mannes zu begeben, die roten Kreidekreuze abzuwaschen, die es als Pesthaus auswiesen, die Bretter abzureißen, mit denen er Türen und Fenster zugenagelt hatte, mögliche Eindringlinge zu verjagen, Plünderer fern zu halten und eine Weile dort zu leben. Falls Jack nach ein paar Wochen nicht an der Pest gestorben war, sollte er dem reichen Mann auf dem Land Bescheid geben, dass es sicher sei, wieder in sein Haus einzuziehen.
Die ersten Punkte dieses Auftrags hatte Jack bereits im Mai so weit erledigt, doch bis Anfang Juni hatte er den letzten irgendwie vergessen. Um Mitte Juni herum traf ein anderer nach Landstreicher aussehender Bursche ein. Der reiche Mann hatte ihn angestellt, um zu seinem Haus zu gehen, Jacks Leiche daraus zu entfernen, damit sie kein Ungeziefer anzog, dann eine Weile darin zu leben und ihm nach ein paar Wochen, falls er nicht an der Pest gestorben war, Bescheid zu geben. Jack, der das Schlafzimmer des Hausherrn bewohnte, hatte diesen neuen Gefährten in einem der Kinderzimmer einquartiert, ihm Küche und Weinkeller gezeigt und ihn eingeladen, sich wie zu Hause zu fühlen. Ende Juli war ein weiterer Landstreicher aufgetaucht und hatte erklärt, er sei angeheuert worden, um die Leichen der ersten beiden et cetera, et cetera .
Den ganzen Frühling und Sommer über war das Wetter ideal: Regen und Sonne genau im richtigen Verhältnis für den Getreideanbau. Landstreicher gingen in Straßburg ungehindert ein und aus, wobei sie sich von den Bergen verwesender Pestopfer fern hielten. Jack suchte sich die heraus, die aus dem Osten kamen, bot ihnen von dem Branntwein des reichen Mannes an, unterhielt sich radebrechend in Rotwelsch mit ihnen und stellte zwei wichtige Tatsachen fest: Erstens, dass das Wetter in Österreich und Polen genauso gut, wenn nicht noch besser gewesen war. Zweitens, dass der Großwesir Khan Mustapha an der Spitze einer Armee von zweihunderttausend Türken noch immer die Stadt Wien belagerte.
Irgendwann im September verspürten er und seine Mitbesatzer die Notwendigkeit, dieses feine Haus zu verlassen. Es machte ihn nicht unglücklich. So zu tun, als wäre man tot, fiel Landstreichern ja nicht so ohne weiteres ein. Die Zahl der Hausbewohner war auf anderthalb Dutzend angewachsen, die meisten von ihnen ziemlich langweilige Leute, und der Weinkeller war nahezu leer. Eines Nachts ließ Jack die Fensterläden öffnen und die Kerzen anzünden und spielte den Gastgeber und Herrn über einen großen Landstreicherball. Fahrende Musikanten spielten raue Weisen auf Schalmeien und Blechflöten, fahrende Komödianten führten eine Posse in Rotwelsch auf, streunende Hunde kopulierten in der Familienkapelle und Jack, der, in den Satin des reichen Mannes gekleidet, am Kopfende des Tisches der Gesellschaft vorsaß, schlief fast ein. Doch selbst durch den Lärm des Balls hindurch vernahmen seine Ohren das Geräusch von herannahenden Hufen, von Schwertern, die aus der Scheide gezogen, und von Gewehrhähnen, die gespannt wurden. Genau in dem Augenblick, als der Hausherr und seine Mannen die Tür einrannten, verschwand er über die Treppe nach oben. Nachdem er an einem Fluchtseil, das er schon vor einiger Zeit an einem Balkongeländer befestigt hatte, hinabgeglitten war, landete er genau im vom Durchbläuen des ehrenwerten dicken Hinterns noch warmen Sattel des reichen Mannes. Er galoppierte zu einem Armenfriedhof am Stadtrand, wo er für genau diese Art von Ereignis ein paar Vorräte aufbewahrte, und machte sich von dort, gut mit gesalzenem Kabeljau und Zwieback eingedeckt, auf den Weg. Er ritt die ganze Nacht nach Süden, bis das Pferd völlig erschöpft war, zog dann den feinen Sattel von seinem Rücken, warf ihn in einen Graben und gab das Pferd einem erfreuten Fährmann für eine Überfahrt ans östliche Rheinufer. Nachdem er die Straße nach München gefunden hatte, zog er in östlicher
Weitere Kostenlose Bücher