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Quicksilver

Quicksilver

Titel: Quicksilver Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Neal Stephenson
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immer noch wie Kanonenkugeln über seinem Kopf durch die Luft. In dem Versuch, sie zu sehen, blickte er zum Mond auf, und hinter den zerrissenen Wolken, die vorbeizogen, war es schwierig, ihre Formen auszumachen, aber er war sich jetzt ziemlich sicher, dass Menschen auf diesen Ästen ritten so wie Geflügelte Husaren auf ihren Streitrössern. Sie griffen den Gipfel an! Jack stolperte schließlich auf einen Pfad, der sich den Berg hinaufwand, und wurde fast vom Infanterieteil des Angriffs überrannt: Ein Strom von Menschen mit abgeschnittenen Ästen und anderem schmückendem Beiwerk wie zum Beispiel Mistgabeln. Jack vergaß sein geschientes Bein, machte einen Schwenk und versuchte, mit ihnen zu rennen, fiel aber hin und brauchte eine Weile, um sich hochzurappeln.
    Er erreichte den Berggipfel, eine Ansammlung von zu Tage liegenden Schichten, kurz nach der Hauptgruppe, doch früh genug um mitzubekommen, wie sie ein halbes Dutzend Musketiere vertrieben, die offensichtlich hier postiert worden, aber nicht willkommen waren. Keiner von ihnen gab einen Schuss ab, denn sie hatten keine Lust, ein paar Menschen zu töten, nur um anschließend von Hunderten ihrer Stöcke schwingenden Freunde umstellt zu werden. Währenddessen riefen Leute, die ein Stück vom Ort des Geschehens entfernt waren, wüste Drohungen herüber und gaben böse Kommentare von sich, ganz ähnlich im Ton wie zuvor die Zuschauer bei der Hexenverbrennung, außer dass sie dabei das Wort »Wächter« benutzten, das (hier stellte Jacks höllisch überforderter Verstand wilde Vermutungen an) vielleicht dasselbe wie das englische Wort »Watchers« bedeutete.
    Nach gewonnenem Kampf erleuchteten die Hexen (das weiterhin zu leugnen war sinnlos) rasch den ganzen Berggipfel mit Feuern (viele Leute hatten Reisig auf dem Rücken hochgetragen), die in dem anhaltenden Sturm mit weißer Flamme brannten. Jack humpelte umher und schaute. Er konnte sehen, dass vor Urzeiten eine große Steinsäule sich vom Gipfel des Berges erhoben hatte, die sich oben in etwas teilte, was vielleicht die Form eines Ziegengehörns gehabt hatte. Sie mochte ausgesehen haben wie eine aufrecht stehende Armbrust. Doch sie war schon vor so langer Zeit umgestoßen worden, dass sie jetzt ganz mit Moos und Erde bedeckt war. Ein paar Dutzend Menhire hatten im Kreis um sie herumgestanden; die meisten von ihnen waren ebenfalls umgestürzt. Die Hexen hatte eine schwarze Ziege auf die Überreste der hohen Säule geführt und dort angebunden, damit sie die ganze leuchtende Szenerie überblicken konnte.
    Menschen, darunter viele unbekleidet, tanzten um diese Feuer herum. Zahllose Frühlingsblumen, die mitgebracht worden waren, schmückten nun Felsen oder Menschen. Wie nicht anders zu erwarten, wurde auch gefickt, aber zumindest ein Teil davon schien eine Art zeremonielles Ficken zu sein – die Beteiligten waren Schauspieler einer Art von Unmoralität, bei der die Frau stets mit Girlanden aus wild wachsenden Frühlingsblumen geschmückt war und der Mann immer eine Augenklappe trug. Bestimmte kleine Tiere dürften eines unnatürlichen Todes gestorben sein. Man hörte Singen und Preisen in einer Sprache, die kein richtiges Deutsch war.
    DenVorsitz über das Ganze hatte natürlich Satan, der Herr der Finsternis, das jedenfalls nahm Jack an – wie sonst würde man eine pechschwarze, gehörnte und bärtige Gestalt nennen, die ungefähr hundert Fuß über dem Gipfel im kochenden, rauchenden, wolkigen Himmel tanzte, manchmal sichtbar und manchmal nicht, zuweilen auch im Profil zu sehen, wenn sie ihr bärtiges Kinn hob, um den Mond anzuheulen oder auszulachen. Jack glaubte felsenfest daran und war sich absolut sicher, dass jedes Wort, das die Prediger je über Luzifer gesagt hatten, stimmte. Er beschloss, dass es keine schlechte Idee wäre wegzulaufen. Und preschte davon, genau in die Richtung, die er im Augenblick der Panik vor sich hatte. Kurz darauf kam der Mond hervor und zeigte ihm, dass er nur noch ein oder zwei Schritte auf Felsen zu laufen hatte, bevor er mitten in der Luft weiterrennen würde – eine gewaltige Kluft tat sich vor ihm auf, tiefer als man im Mondlicht sehen konnte. Jack blieb stehen, und da ihm keine andere Wahl blieb, drehte er sich um, betrachtete mit einer gezwungenen, ziemlich unechten Gelassenheit das ganze Panorama aus Feuer und Schatten und hoffte, einen Weg zu finden, der ihn nicht zu nah an Satan vorbeiführte – oder besser, an keinem der verschiedenen Satane von unterschiedlicher

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