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Quicksilver

Quicksilver

Titel: Quicksilver Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Neal Stephenson
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dass Ihr Engländer seid?«
    »Ja.«
    »Ihr seid Euch dessen vielleicht nicht bewusst, aber Ihr habt eine Art, Selbstgespräche zu führen, während Ihr so herumlauft – Euch selbst eine Geschichte über das zu erzählen, was gerade passiert oder was Eurer Meinung nach gerade passiert – aus diesem Grund weiß ich bereits, dass Ihr Jack heißt. Ich heiße Enoch. Außerdem liegt etwas typisch Englisches in der Art, wie Ihr Euch daran macht, Dinge zu untersuchen und Euch darüber zu amüsieren, von denen ein Deutscher oder Franzose wüsste, dass sie ihn nichts angehen.«
    »In dieser Rede gibt es viel zum Nachdenken«, sagte Jack, »aber ich nehme an, allzu beleidigend ist es nicht.«
    »Es ist überhaupt nicht beleidigend gemeint«, sagte Enoch. »Wie kann ich Euch helfen?«
    »Ich bin wegen einer Lady hier, die ihre frische Farbe und ihr inneres Gleichgewicht verloren hat, von zuviel weiblicher, äh...«
    »Menstruation?«
    »Ja. Gibt es hier irgendwas dafür?«
    Enoch schaute durch ein Fenster auf einen düsteren grauen Himmel. »Nun – egal was der Apotheker Euch sagen würde -«
    »Seid Ihr nicht der Apotheker?«
    »Nein.«
    »Wo ist er?«
    »Unten auf dem Marktplatz, wo alle anständigen Leute sein sollten.«
    »Und was macht das aus uns beiden, Bruder, aus Euch und mir?«
    Enoch zuckte die Schultern. »Einen Mann, der seiner Frau helfen möchte, und einen Mann, der weiß, wie.«
    »Und wie?«
    »Sie braucht Eisen.«
    » Eisen?«
    »Es wäre gut, wenn sie viel rotes Fleisch äße.«
    »Aber Ihr habt Eisen gesagt. Warum sollte sie dann nicht ein Hufeisen essen?«
    »Die sind so ungenießbar. Rotes Fleisch enthält Eisen.«
    »Danke... Sagtet Ihr, der Apotheker sei auf dem Marktplatz?« »Immer geradeaus, nicht weit von hier«, sagte Enoch. »Dort ist auch ein Fleischer, falls Ihr rotes Fleisch für sie kaufen wollt …«
    » Auf Wiedersehen , Enoch«, sagte Jack.
    »Bis zum nächsten Mal, Jack.«
    Und so zog Jack sich aus dem Gespräch mit dem Verrückten heraus (der, wie ihm klar wurde, während er die Straße hinunterging, das eine oder andere mit dem Doktor gemein hatte) und machte sich auf die Suche nach jemand Normalem. Er sah, dass eine Menge Leute auf dem Platz waren – wie würde er den Apotheker erkennen? Hätte den alten Enoch um eine Beschreibung bitten sollen.
    Bockboden hatte sich in einem weiten offenen Ring um einen senkrechten Pfosten herum versammelt, der fest in den Boden gerammt war und zur Hälfte in einem Scheiterhaufen verschwand. Zuerst erkannte Jack die Vorrichtung gar nicht, da er von England her den Galgen gewohnt war. Bis er herausgefunden hatte, was da vor sich ging, hatte er sich schon einen Weg mitten in die Menge gebahnt und konnte jetzt kaum umkehren und fortgehen, ohne den Eindruck zu erwecken, er habe Mitleid mit Hexen. Die meisten von ihnen, das wusste er, waren nur gekommen, um ihren guten Ruf zu wahren, aber genau die waren es auch, die einen Fremden am ehesten der Hexerei bezichtigen würden. Die echten Hexenhasser dagegen standen ganz vorne und brüllten im örtlichen Dialekt, der manchmal dem Englischen zum Verrücktwerden ähnlich klang. Jack konnte nicht verstehen, was sie sagten. Es hörte sich nach Drohungen an. Das war jedoch unsinnig, denn die Hexe würde ohnehin jeden Augenblick getötet. Doch Jack schnappte Brocken wie »Walpurgis« auf, und »heute Nacht«, was er verstand, und dann war ihm klar, dass sie nicht der Frau drohten, die gleich sterben würde, sondern anderen in der Stadt, die sie der Hexerei verdächtigten.
    Der Kopf der Frau war geschoren worden, aber nicht erst vor kurzem. An der Länge ihrer Stoppeln konnte Jack ablesen, dass ihre Unschuldsprobe ungefähr eine Woche gedauert haben musste. Sie hatten sich mit dem alten Hämmer-und-Keile-Trick über ihre Füße und Beine hergemacht, und so würde man sie in sitzender Haltung verbrennen müssen. Als sie sie auf dem Scheiterhaufen absetzten, fuhr sie zusammen vor Schmerz, weil man sie bewegte, dann lehnte sie sich zurück an den Pfahl, wobei sie glücklich schien, dass sie Bockboden bald für immer verlassen würde. Über ihr wurde ein Brett angenagelt, mit einem Stück Papier darauf, auf dem eine Art hilfreiche Information geschrieben stand. Inzwischen band ein Mann ihr die Hände hinter dem Pfahl zusammen – führte dann das lose Ende des Seils ein paar Mal um ihren Hals und schleuderte es schließlich von dem Scheiterhaufen weg: ein Detail, dass die Menge in der ersten Reihe erzürnte. Ein

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