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Quicksilver

Quicksilver

Titel: Quicksilver Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Neal Stephenson
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Hirten und James, dem Herzog von York, zu suchen: Dass nämlich sämtliche Liebhaberinnen, Mätressen und Ehefrauen besagten Herzogs an besagter Seuche erkrankten; dass seine erste Frau Anne Hyde offensichtlich daran gestorben war; dass Anne Hydes Töchter Mary und Anne Augen- und Unterleibsbeschwerden hatten; dass der Herzog deutlich erkennbar Geschwüre im Gesicht aufwies und entweder unglaublich dumm oder vollkommen übergeschnappt war.
    Nun hatten die Leute (wie Daniel der Naturphilosoph nur allzu gut wusste) die Angewohnheit, Erklärungen überzustrapazieren, und das war eine schlechte Angewohnheit – so etwas wie ein Aberglaube. Und dennoch waren die Parallelen zwischen Syphilus, dem Schafhirten, und James, dem Thronerben, schwer zu ignorieren – und als wäre das noch nicht genug, lag Sir Roger L’Estrange seit kurzem Nahum Tate mit der Bitte in den Ohren, ob er nicht vielleicht noch ein paar angeschimmelte alte lateinische Gedichte zum Übersetzen finden könnte. Und jeder wusste, dass L’Estrange das tat, und begriff, warum.
    James war Katholik und wollte ein Heiliger sein, und das passte alles zusammen, denn er war vor zweiundfünfzig Jahren im St. James’s Palace geboren worden. Dort war stets sein wahres Zuhause gewesen. In seinen Kinderjahren hatte man ihm hier in diesem Hof die Anfangsgründe des Prinzendaseins beigebracht: Fechten und Französisch. Während des Bürgerkriegs hatte man ihn nach Oxford verschwinden lassen, und von diesem Zeitpunkt an hatte er sich mehr oder weniger selbst großgezogen. Ab und zu war Dad vorbeigekommen, hatte ihn hochgelüpft und an irgendeine Front mitgenommen, wo er von Cromwell eins auf die Mütze bekam.
    James war ziemlich viel mit seinen Vettern und Cousinen, der Nachkommenschaft seiner Tante Elizabeth (der Winterkönigin), zusammengewesen, einem fruchtbaren, aber glücklosen Nebenzweig der Familie. Nach der endgültigen Niederlage im Bürgerkrieg war er in den St. James’s Palace zurückgekehrt, hatte dort als verhätschelte Geisel gelebt, war in diesem Park herumspaziert und hatte ab und zu kindische Fluchtversuche samt verschlüsselten, zu loyalen Bundesgenossen hinausgeschmuggelten Briefen inszeniert. Einer dieser Briefe war abgefangen worden, man hatte John Wilkins zu Rate gezogen, um ihn zu entschlüsseln, und das Parlament hatte gedroht, James in dem sehr viel weniger wohnlichen Tower unterzubringen. Irgendwann war er dann durch diesen Park hinausgeschlüpft, hatte sich als Mädchen verkleidet und war den Fluss hinab und übers Meer nach Holland geflüchtet. Er war daher außer Landes gewesen, als man seinen Vater durch diesen Park geführt hatte, um ihn einen Kopf kürzer zu machen. Während der englische Bürgerkrieg langsam zu Ende gegangen war, war James zum Mann herangewachsen, der zwischen Holland, der Insel Jersey und St-Germain (einer königlichen Vorstadt von Paris) hin und her wechselte und sich nach Prinzenart die Zeit mit Reiten, Schießen und dem Vögeln von Französinnen edler Abkunft vertrieb. Doch während Cromwell die Royalisten weiterhin ständig aufs Haupt geschlagen hatte, und zwar nicht nur in England, sondern auch in Irland und Frankreich, war James schließlich das Geld ausgegangen, und er war Soldat – ein ziemlich guter – unter Marschall Turenne, dem unvergleichlichen französischen General, geworden.
     
    Während Daniel dahinstapfte, drehte er gelegentlich den Kopf, um nach Norden über die Pall Mall zu schauen. Gemäß den Beobachtungen von Dr. Leibniz bot sich ihm jedes Mal ein anderer Blick. Doch wenn die Parallaxe der Straßen genau richtig war, konnte er zwischen den von nervösen Protestanten errichteten Feuern hindurch die nach illegitimen Söhnen des Königs benannten Straßen entlang bis zu den Plätzen sehen, wo Roger Comstock und Sterling Waterhouse neue Häuser und Läden hochzogen. Die größeren wurden zum Teil aus gewaltigen Steinblöcken errichtet, die man aus dem Schutt von John Comstocks Haus gewonnen hatte – dieser wiederum hatte sie aus dem eingestürzten Südschiff der alten St. Paul’s Cathedral geborgen. Dort drüben brannten Lichter in Fenstern, und aus Schornsteinen wehte Rauch. Es handelte sich zumeist um Kohlenrauch, doch im Nordwind erschnupperte Daniel ab und zu auch einen Hauch von bratendem Fleisch. Während er knirschend und patschend durch diesen öden Park trottete und auf ausgestopfte Köpfe trat, die vor ein paar Stunden Strohpuppen abgeschlagen worden waren, hatte er seinen Appetit

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