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Quicksilver

Quicksilver

Titel: Quicksilver Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Neal Stephenson
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Protestant auszugeben. Deshalb sollte Daniel nicht zu viel in diesen Gang hineingeheimnissen – Gott bewahre, dass er anfing zu denken wie Isaac und in jeder Kleinigkeit irgendwelche okkulten Symbole erkannte. Aber er konnte sich nicht der Vorstellung erwehren, dass die Zeit im Moment gerade noch weiter zurückgedreht wurde, über die Regierungszeit Elizabeths hinaus bis zu den Tagen der Blutigen Mary. Damals war John Waterhouse, Drakes Großvater, über das Meer nach Genf geflohen, das ein Wespennest von Kalvinisten war. Erst nach Elizabeths Thronbesteigung war er zurückgekehrt, begleitet von seinem Sohn Calvin – Drakes Vater – und vielen anderen Engländern und Schotten, die in religiösen Fragen wie er dachten.
    Heute jedenfalls durchquerte Daniel den alten Tilt Yard und stieg die Treppe zum St. James’s Park hinab, um den Mann zu holen, der sämtliche Merkmale der nächsten Blutigen Mary aufwies. James, der Herzog von York, hatte bei König und Königin im Palast gewohnt, bis die Neigung der Engländer, bei der leisesten Erwähnung seines Namens auf der Straße Aufruhr zu machen und größere Gegenstände zu verbrennen, den König auf den Gedanken gebracht hatte, ihn in Städte wie Brüssel und Edinburgh zu schicken. Seit damals war er ein politischer Komet gewesen, der seine Zeit fast vollständig damit verbrachte, an der Schwelle zur Dämmerung seine Bahn zu ziehen, und nur gelegentlich nach London zurücksauste, wo er allen eine Heidenangst einjagte, bis das Lodern der Scheiterhaufen und der brennenden katholischen Kirchen ihn wieder in die Dunkelheit trieb. Nachdem der König schließlich die Geduld verloren, das Parlament aufgelöst, sämtliche Bolstroods aus dem Land gejagt und die noch verbliebenen Dissenter ins Gefängnis geworfen hatte, hatte James zurückkehren und sich häuslich niederlassen dürfen – allerdings im St. James’s Palace.
    Von Whitehall waren es fünf Minuten zu Fuß durch mehrere Gärten, Parks und Promenaden. Der Teufelswind, der am Tag von Cromwells Tod über England hinweggefegt war, hatte die meisten großen alten Bäume entwurzelt. Als junger Bursche, der die Pall Mall hinaufund hinabzog und Flugblätter verteilte, hatte Daniel zugesehen, wie man neue Schösslinge gesetzt hatte. Jetzt stellte er mit Bestürzung fest, wie groß manche schon geworden waren.
    Im Frühling und im Sommer traten Mitglieder der Königsfamilie und Höflinge bei ihren zu regelrechten Prozessionen ritualisierten Spaziergängen Furchen in die Pfade, die sich zwischen den Bäumen hindurchwanden. Jetzt war das Gelände menschenleer, ein unübersichtliches Gemenge aus Braun und Grau: Auf einem tiefen Miasma aus Sumpf und Pferdemist lag eine Schicht gefrorenen Schlamms. Daniels Stiefel brachen immer wieder durch, sodass er damit im Dreck einsank. Er lernte, nicht in der Nähe der halbmondförmigen Abdrücke aufzutreten, die von den Hufen von John Churchills Garderegiment stammten; es hatte vor ein paar Stunden hier exerziert und geübt, war dabei hin und her galoppiert und hatte Strohpuppen mit Säbeln die Köpfe abgeschlagen. Zwar hatte man die Strohpuppen nicht als Whigs und Dissenter kostümiert, aber die Botschaft war auch so deutlich genug gewesen für Daniel und die Massen von Londonern, die sich am Rand von Charing Cross versammelten und für ihren König Feuer abbrannten.
    Ein gewisser Nahum Tate hatte vor kurzem ein hundertfünfzig Jahre altes Gedicht des Veroneser Astronomen Hieronymus Fracastorius mit dem Originaltitel Syphilis, Sive Morbvs Gallicvs oder (wie Tate das wiedergab) » Syphilis: oder eine poetische Geschichte der Franzosenkrankheit« ins Englische übersetzt. Wie auch immer, das Gedicht erzählte die Geschichte eines Schafhirten namens Syphilus, dem (wie allen Schafhirten in alten Mythen) ein erbärmliches und vollkommen unverdientes Schicksal widerfuhr: Er wurde als erster Mensch von der Krankheit niedergeworfen, die nun seinen Namen trug. Neugierige Geister mochten sich fragen, warum sich Mr. Tate ausgerechnet jetzt die Mühe gemacht hatte, ein Gedicht über einen syphilitischen Hirten zu übersetzen, das anderthalb Jahrhunderte lang auf Lateinisch vor sich hin geschlummert hatte, ohne dass irgendein Engländer das Gefühl gehabt hatte, ihm fehle etwas: ein Gedicht über eine Krankheit, von einem Astronomen! Gewisse zynisch veranlagte Londoner waren der Überzeugung, die Lösung dieses Rätsels sei vielleicht in gewissen unheimlichen Ähnlichkeiten zwischen dem namengebenden

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