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Quicksilver

Quicksilver

Titel: Quicksilver Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Neal Stephenson
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jetzt hier, und für diese Leute war das die einzige Art von Rang, auf die es ankam. Hier zu sein, diesen Ort zu riechen, sich vor den Mätressen zu verbeugen war so etwas wie eine Initiation. Drake hätte gesagt, dass man sich zum Komplizen des ganzen Machtsystems solcher Leute machte, wenn man bloß den Fuß in ihre Häuser setzte und ihnen schlichte Höflichkeit erwies. Daniel und die meisten anderen hatten für solche Tiraden nur Spott übrig gehabt. Doch mittlerweile wusste er, dass es stimmte, denn als die Gräfin seine Anwesenheit zur Kenntnis genommen und seinen Namen gewusst hatte, war sich Daniel wichtig vorgekommen. Drake hätte sich im Grabe umgedreht – wenn er denn ein Grab gehabt hätte. Doch sein Grab war die Luft über London.
    Ein alter Deckenbalken knackte, als erneut ein Windstoß den Palast traf.
    Die Gräfin bedachte Daniel mit einem wissenden Lächeln. Daniel hatte eine Mätresse gehabt, und die Gräfin wusste es: die unvergleichliche Tess Charter, die vor fünf Jahren an den Pocken gestorben war. Derzeit hatte er keine Mätresse, und wahrscheinlich wusste Catherine Sedley auch das.
    Er war fast zum Stehen gekommen. Von hinten eilten Schritte auf ihn zu, und er schreckte zusammen, denn er rechnete mit einer Hand auf seiner Schulter, doch dann umgingen ihn, als wäre er ein Stein in einem Fluss, rasch aufeinander folgend zwei Paare von Höflingen – darunter auch Pepys – und kamen vor einer großen gotischen Tür zusammen, deren Holz so grau geworden war wie der Himmel. Ein aus Klopfen, Sich-Räuspern und An-der-Türklinke-Rütteln bestehendes Protokoll nahm seinen Anfang. Die Tür wurde von innen geöffnet, wobei ihre Angeln wie ein Kranker ächzten.
    Der St. James’s Palace war zwar in besserem Zustand als Whitehall, aber dennoch nur ein großes altes Haus. Er war um einiges schäbiger als Comstock/Anglesey House. Doch das Haus war abgerissen worden. Und zum Einsturz gebracht hatten es Bewegungen des Markts, keine Revolution. Das Verderben der Comstocks und der Angleseys waren nicht Bleikugeln, sondern Goldmünzen gewesen. Das Viertel, das man auf den Ruinen ihres großen Hauses errichtet hatte, steckte voller Männer, deren Gewölbe mit jener Art von Munition gut bestückt war.
    Um jene Kräfte zu mobilisieren, brauchte es lediglich ein wenig von jener königlichen Fähigkeit, zu entscheiden und zu handeln.
    Man winkte ihn heran. Pepys trat mit ausgestreckter Hand auf ihn zu, als wolle er Daniel beim Ellbogen fassen. Wäre Daniel ein Herzog, würde Pepys ihm jetzt weisen Rat erteilen.
    »Was soll ich sagen?«, fragte Daniel.
    Pepys antwortete sofort, als hätte er die Antwort drei Wochen lang vor einem Spiegel geprobt. »Macht Euch nicht so viele Sorgen darüber, dass der Herzog Puritaner hasst und fürchtet, Daniel. Denkt stattdessen an jene Männer, die der Herzog liebt: Generäle und Päpste.«
    »Nun gut, Mr. Pepys, ich denke an sie... nur nützt es mir leider nichts.«
    »Gewiss, Roger mag Euch als Opferlamm hierher geschickt haben, und der Herzog betrachtet Euch womöglich als Mörder.Wenn ja, wird er jeden Beschwichtigungsversuch und jede Heuchelei in den falschen Hals bekommen. Außerdem könnt Ihr das nicht gut.«
    »Das heißt… wenn ich denn schon einen Kopf kürzer gemacht werde, soll ich den Kopf gefälligst wie ein Mann auf den Richtblock legen...«
    »Schmettert ein, zwei geistliche Lieder! Küsst den Henker und verzeiht ihm im Voraus. Zeigt diesen Stutzern, aus welchem Holz Ihr geschnitzt seid.«
    »Glaubt Ihr wirklich, Roger hat mich hierher geschickt, damit...«
    »Aber nein, Daniel! Ich habe bloß gescherzt.«
    »Aber es gibt eine gewisse Tradition, den Boten zu töten.«
    »So schwer es Euch fallen mag, das zu glauben, aber der Herzog bewundert bestimmte Eigenschaften der Puritaner: ihre Nüchternheit, ihre Zurückhaltung, ihre eiserne Zähigkeit. Er hat Cromwell kämpfen sehen, Daniel! Er hat gesehen, wie Cromwell eine ganze Generation höfischer Stutzer niedergemäht hat. Er hat es nicht vergessen.«
    »Wollt Ihr damit etwa sagen, dass ich Cromwell nacheifern soll!?«
    »Eifert nach, wem Ihr wollt, bloß keinem Höfling«, sagte Pepys, der Daniel nun am Arm packte und ihn praktisch zur Tür hineinstieß.
    Daniel stand vor James, dem Herzog von York.
    Der Herzog trug eine blonde Perücke. Er hatte seit jeher eine blasse Haut und Rehaugen gehabt, was ihn zu einem hübschen Jungen, aber ziemlich unansehnlichen und schauerlichen Erwachsenen gemacht hatte. Die beiden

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