Quicksilver
dort auf einem Stuhl sitzen zu sehen, der so niedrig und klein war, dass es schien, als hockte er wie ein Hund auf seinen Hinterbacken. Und tatsächlich erinnerte er mit seinen eingezogenen Schultern und seinem Seitenblick auf die Marquise an einen alten Bauernköter, der den Knüppel schon herabsausen sieht. Die Herzogin saß in einem Lehnstuhl aus massivem Silber und die Marquise auf einem Stuhl ohne Armlehnen, auch aus Silber.
Ich blieb stehen. Wir wurden einander vorgestellt – all die öden Formalitäten und Plaudereien erspare ich Euch – und die Marquise erklärte mir, sie habe nach einer Hauslehrerin für ihre Tochter gesucht. Eigentlich hat das Mädchen bereits eine Gouvernante, aber diese Frau ist mehr oder minder Analphabetin, und folglich wurde die geistige Entwicklung des Kindes verzögert, oder vielleicht ist sie auch einfach ein Dummkopf . Irgendwie hatte sie sich darauf versteift, dass ich die geeignetste Kandidatin wäre, das ist das Werk von d’Avaux .
Ich musste so tun , als wäre ich erstaunt, und protestierte mit der Begründung, einer solchen Verantwortung sei ich nicht gewachsen, des Langen und Breiten gegen diese Entscheidung. Laut fragte ich mich, wer für die armen Kleinen, Beatrice und Louis, sorgen würde. M. le Comte de Béziers gab mir die frohe Kunde, dass er eine günstige Gelegenheit im Süden gefunden hatte und Versailles bald verlassen würde.
Ihr wisst vielleicht nicht, dass eine der wenigen Möglichkeiten, wie ein französischer Adliger Geld verdienen kann, ohne sein gesellschaftliches Ansehen zu verlieren, darin besteht, als Offizier auf einem Handelsschiff zu dienen. Béziers hat eine solche Stellung auf einem Schiff der französischen Ostindienkompanie angenommen, das im nächsten Frühjahr mit Kurs auf das Kap der Guten Hoffnung aus dem Bassin d’Arcachon auslaufen wird, gen Osten weist und, wenn ich mir in solchen Dingen überhaupt ein Urteil erlauben darf, ein Seemannsgrab ist.
Wenn aber Mme. de Maintenon nächstes Jahr ihre Schule für arme Mädchen des französischen Adels in St-Cyr eröffnet, eine fixe Idee von ihr – St-Cyr liegt in Sichtweite von Versailles im Südwesten, gleich jenseits der Stadtmauern, wird Beatrice vielleicht dorthin gebracht, um auf das Leben bei Hofe vorbereitet zu werden.
Unter diesen Umständen konnte ich schwerlich auch nur eine Spur von Abneigung zeigen, geschweige denn dieses Angebot ablehnen, und so schreibe ich Euch diesen Brief aus meinem neuen Zimmer im Dachgeschoss über den Gemächern der Herzogin. Nur Gott im Himmel weiß, welche neuen Abenteuer mich jetzt erwarten! Die Marquise hofft, bis Ende des Monats in Versailles zu bleiben, der König wird, seiner Gewohnheit entsprechend, den Oktober in Fontainebleau verbringen, und es spricht nichts dafür, in Versailles zu bleiben, wenn er nicht hier ist, und sich dann nach Dünkirchen zu begeben. Natürlich werde ich mit ihr gehen. Aber ich werde euch vorher bestimmt noch mal schreiben.
An M. le Comte d’Avaux
25. September 1685
Es ist zwei Wochen her, dass ich in die Dienste des Marquis und der Marquise d’Ozoir getreten bin, und in einer weiteren Woche reisen wir ab nach Dünkirchen, also ist dies der letzte Brief, den ich Euch von Versailles aus schicke.
Falls ich Eure Absichten richtig deute, werde ich nur so lange in Dünkirchen bleiben, wie ich brauche, um über den Laufsteg eines nach Holland auslaufenden Schiffes zu gehen. Falls das passiert, wird jeder Brief, den ich später schreibe, Amsterdam erst nach mir erreichen.
Als ich vor einigen Monaten hierher kam, machte ich für eine Nacht Halt in Paris und wurde von meinem Fenster aus Zeugin folgender Begebenheit: Auf dem Markt vor dem pied-à-terre , in dem Ihr mich freundlicherweise übernachten ließt, hatten ein paar Leute aus dem gemeinen Volk einen Ausleger errichtet, einen Balken, der in die Luft ragte, wie die Kräne, die die Kaufleute benutzen, um Lasten in ihre Warenlager hochzuhieven. Über das Ende dieses Balkens warfen sie ein Seil und darunter zündeten sie auf dem Pflaster ein Freudenfeuer an.
Diese Vorbereitungen hatten eine Menschenmenge angezogen, und so war es schwierig für mich zu sehen, was als Nächstes passierte; aber aus dem Lachen der Menge und den heftigen Bewegungen des Seils schloss ich, dass auf der Straße ein seltsamer, lustiger Kampf stattfand. Eine streunende Katze sauste davon und wurde halbherzig von ein paar Jungen verfolgt. Schließlich straffte sich das andere Ende des Seils, denn ein
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