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Quicksilver

Quicksilver

Titel: Quicksilver Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Neal Stephenson
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Tränen ausbrechen lassen, wäre ich eine dieser derben Gräfinnen, die in Scharen nach Versailles kommen, um von gesellschaftlich hoch stehenden Männern entjungfert zu werden. Ich hatte diesen Ort aber schon gut genug kennen gelernt, um zu wissen, dass hier die einzigen wirklich grausamen Worte lauten: »Sie ist ein Niemand.« Und das hatte Madame nicht gesagt. Folglich musste der König mich noch ein bisschen länger anschauen.
Louis und Beatrice hatten den König bemerkt und waren in einer Mischung aus Ehrfurcht und Schrecken erstarrt – wie Statuen von Kindern.
Eine weitere solche Pause war vergangen. Ich hörte, wie der König sagte: »Diese Geschichte ist in meiner Gegenwart erzählt worden.« Dann sagte er: »Wenn d’Avaux seine Briefe einfach ins Mieder irgendeiner pockennarbigen alten Hexe stecken würde, könnte er sich absoluter Geheimhaltung sicher sein, aber welcher Holländer würde nicht das Siegel auf diesem Umschlag aufbrechen wollen?«
»Aber Sire«, sagte Liselotte, »d’Avaux ist Franzose – und welcher Franzose würde ?«
»Er hat gar nicht so einen feinen Geschmack, wie er Euch glauben machen möchte«, gab der König zurück, »und sie ist nicht so gewöhnlich, wie Ihr mich glauben machen wollt.«
In dem Moment trat der kleine Louis so plötzlich vor, dass ich fürchtete, er würde kopfüber in den Kanal stolpern und mich zwingen zu schwimmen; doch er blieb am Rand stehen, streckte ein Bein vor und verbeugte sich genau wie ein Höfling vor dem König. Ich tat so, als bemerkte ich den König erst jetzt und rappelte mich hoch. Beatrice und ich machten Hofknickse über den Kanal. Der König erwiderte unseren Gruß, indem er noch einmal den Hut zog, vielleicht mit einer gewissen komischen Übertreibung.
»Ich sehe diesen Blick in Euren Augen, vôtre majesté «, sagte Liselotte.
»Ich sehe ihn in Euren, Artemis.«
»Ihr habt auf Geschwätz gehört. Ich sage Euch, diese Mädchen niederer Abstammung, die hierher kommen, um Adlige zu verführen, sind wie Mäusekot im Pfeffer.«
»Ist es das , was sie uns glauben machen will?Wie banal.«
»Die besten Verkleidungen sind die banalsten, Sire.«
Das schien das Ende ihrer seltsamen Unterhaltung zu sein; langsam ritten sie davon.
Der König soll ein großer Jäger sein, aber er ritt in einer ausgesprochen steifen Haltung – ich vermute, er leidet an Hämorrhoiden oder vielleicht auch einem schlimmen Rücken.
Ich brachte die Kinder auf dem schnellsten Weg nach Hause und setzte mich hin, um Euch diesen Brief zu schreiben. Für ein Nichts wie mich sind die Ereignisse des heutigen Tages der Gipfel an Ehre und Ruhm, und ich wollte sie festhalten, bevor irgendeine Einzelheit meinem Gedächtnis entschlüpfte.
 
An M. le Comte d’Avaux
1. September 1685
Monseigneur, ich habe so viele Besucher wie immer (sehr zum Verdruss von M. le Comte de Béziers), aber seit ich tiefbraun geworden bin und mich darauf verlegt habe, Sackleinen zu tragen und viel aus der Bibel zu zitieren, sind sie nicht mehr so an Romanzen interessiert. Jetzt kommen sie und stellen mir Fragen über meinen spanischen Onkel. »Es tut mir Leid, dass Euer spanischer Onkel nach Amsterdam umziehen musste, Mademoiselle«, sagen sie, »aber man munkelt, die Not habe ihn zu einem weisen Mann gemacht.« Das erste Mal, als der Sohn irgendeines Marquis an mich herantrat und einen solchen Unsinn von sich gab, sagte ich zu ihm, er müsse mich mit einem anderen Frauenzimmer verwechseln, und jagte ihn fort! Doch der Nächste ließ Euren Namen fallen, und mir wurde klar, dass er in gewisser Weise von Euch geschickt worden war – oder, um genauer zu sein, dass sein Kommen in dem Irrglauben, ich hätte einen weisen spanischen Onkel, eine Folge oder Verästelung einer Reihe von Ereignissen war, die Ihr angestoßen habt. In dieser Annahme fing ich an mitzuspielen, ziemlich vorsichtig, da ich nicht wusste, welche Art von Spiel wohl im Gange war. Aus der Art, wie dieser Bursche sprach, schloss ich bald, dass er mich für eine Art Kryptojüdin hält, das uneheliche Kind eines dunkelhäutigen spanischen Aaronssohns und einer Holländerin mit butterfarbenem Haar, was sogar plausibel erscheinen könnte, da die Sonne mein Haar gebleicht und meine Haut dunkler gemacht hat.
Diese Unterhaltungen sind immer gleich und ihre Einzelheiten zu langweilig, um sie hier wiederzugeben. Offensichtlich habt Ihr Geschichten über mich verbreitet, Monseigneur, und nun glaubt die Hälfte der Angehörigen des niederen Adels in

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