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Quicksilver

Quicksilver

Titel: Quicksilver Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Neal Stephenson
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Binnenhofs.
    In den Wäldern am Meer wäre es vielleicht verwegen gewesen, offen zu sprechen; hier aber konnte sie mit einem Schrei die St. Georgsgilde aus ihrem Hauptquartier herbeirufen. »Eure Bereitschaft, Euch mir erkenntlich zu zeigen, ist ohne Bedeutung«, sagte sie zu Bob.
    Das war eine kalte Antwort, aber es war auch ein kalter Tag, und Wilhelm von Oranien hatte sie kalt behandelt, und Bob Shaftoe hatte sie vom Pferd gestoßen. Jetzt sah Bob bestürzt aus. Er war es nicht gewöhnt, irgendjemandem außer seinem Meister, John Churchill, verpflichtet zu sein, und jetzt befand er sich in der Gewalt von zwei noch nicht einmal zwanzigjährigen Mädchen: Abigail, die sein Herz besaß, und Eliza, die (so war jedenfalls seine Vorstellung) es in der Hand hatte, Abigail zu besitzen. Ein eher an Hilflosigkeit gewöhnter Mann hätte etwas mehr dagegen gehalten. Bob Shaftoe hingegen war erschlafft, wie die Janitscharen vor Wien, als sie erkannt hatten, dass ihre türkischen Herren allesamt tot waren. Er war zu nichts anderem mehr in der Lage, als Eliza mit feuchten Augen anzuschauen und erstaunt den Kopf zu schütteln. Sie ging weiter. Ihm blieb nichts anderes übrig, als ihr zu folgen.
    »Ich wurde genau wie Eure Abigail zur Sklavin gemacht«, sagte Eliza. »Es war, als wären Mummy und ich von einer gemeinen Welle vom Strand weggezerrt und in die Tiefe gerissen worden. Kein Mann kam, um mich auszulösen. Heißt das, es war gerecht, dass ich so meiner Freiheit beraubt wurde?«
    »Jetzt redet Ihr Unsinn . Ich habe nicht -«
    »Wenn es für Abigail schlimm ist, Sklavin zu sein – und das glaube ich durchaus -, dann ist Euer Angebot, mir zu Diensten zu sein, weder Fisch noch Fleisch. Wenn sie frei sein sollte, sollten es alle anderen auch sein. Dass Ihr bereit seid, mir ein oder zwei Gefälligkeiten zu erweisen, sollte sie nicht an die Spitze der Schlange vorrücken lassen.«
    »Aha, jetzt macht Ihr es zu einer großen moralischen Frage. Ich bin Soldat, und wir haben gute Gründe, uns vor denen in Acht zu nehmen.«
    Sie hatten einen weiten Platz auf der östlichen Seite des Binnenhofs betreten, der Plein hieß. Bob schaute sich aufmerksam um. Einen Steinwurf von hier entfernt war ein Wachlokal, das als Gefängnis diente; vielleicht fragte er sich gerade, ob Eliza versuchte, ihn geradewegs dorthin zu bringen.
    Stattdessen blieb sie vor einem Haus stehen: einem großzügigen Gebäude, eindrucksvoll in seinem Barockstil, aber merkwürdig verziert. Denn zuoberst über den Schornsteinen, wo man normalerweise Kreuze oder Statuen griechischer Götter erwartet hätte, gab es aus Ringen bestehende Kugeln, Wetterhähne und drehbar montierte Fernrohre. Eliza wühlte in den Falten ihrer Taillenschärpe, schubste das Stilett zur Seite und fand den Schlüssel.
    »Was ist das, ein Nonnenkloster?«
    »Macht Euch nicht lächerlich, sehe ich aus wie eine französische Mademoiselle, die sich an solchen Orten aufhält?«
    »Eine Herberge?«
    »Es ist das Haus eines Freundes. Genau genommen, eines Freundes von einem Freund.«
    Eliza schwenkte den Schlüssel am Ende des roten Bandes, an den sie ihn gebunden hatte. »Kommt hinein«, sagte sie schließlich.
    »Wie bitte?«
    »Kommt mit mir in dieses Haus, damit wir unsere Unterhaltung fortsetzen können.«
    »Die Nachbarn -«
    »Nichts, was hier je passieren könnte, könnte die Nachbarn dieses Herrn aus der Ruhe bringen.«
    »Und was ist mit dem Herrn selbst?«
    »Er schläft«, sagte Eliza, während sie die Haustür aufschloss. »Seid still.«
    »Er schläft, mittags?«
    »Er wird in der Nacht rührig – um die Sterne zu beobachten«, sagte Eliza mit einem flüchtigen Blick nach oben. Auf das Dach des Hauses, vier Stockwerke über ihren Köpfen, war eine hölzerne Plattform mit einer röhrenförmigen Vorrichtung montiert, die über den Rand hinausragte – zu zerbrechlich, um Kanonenkugeln zu schießen.
    Der größte Raum im Erdgeschoss war vielleicht einmal imposant gewesen, denn seine großzügig bemessenen Fenster gingen auf den Plein und den Binnenhof hinaus. Aber er war voll gestopft mit den Abfällen vom Linsen- und Spiegelschleifen – immer schmutzig, zuweilen auch gefährlich – und mit Tausenden von Büchern. Bob wusste das zwar nicht, aber sie handelten außer von Naturphilosophie auch von Geschichte und Literatur, und fast alle waren sie in Französisch oder Latein geschrieben.
    Für Bob waren diese Gegenstände nicht übermäßig seltsam, und nachdem er sich ein paar Minuten lang

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