Quicksilver
Lieferant gemeiner Mordgedanken zu Diensten«, sagte Bob Shaftoe.
Daniel hatte sich an den äußersten Rand des Lichtkreises zurückgezogen und aus einer Flasche auf seinem Schreibpult eine Kerze gehebelt. Er hastete zurück und entzündete sie an Bobs Kerze.
Bob bemerkte: »Ich habe Lords auf Schlachtfeldern sterben sehen – nicht so oft, wie’s mir lieb gewesen wäre, wohlgemerkt – aber oft genug, um zu wissen, dass es nicht wie auf Gemälden ist.«
»Gemälden?«
»Ihr wisst doch, wo die Siegesgöttin mit aus dem Kleid hängenden Titten auf einem Sonnenstrahl herabgeschwebt kommt und einen Lorbeerkranz für die Stirn besagten sterbenden Lords schwenkt, während auf einem anderen die Jungfrau Maria herabschwebt, um -«
»Ach so. Solche Gemälde. Ja, ich glaube, was Ihr sagt.« Daniel hatte sich die ganze Zeit an der gekrümmten Wand des Towers entlangbewegt und dabei die Kerze dicht an den Stein gehalten, damit das reflektierte Licht stärker hervorhob, was die Gefangenen im Laufe der Jahrhunderte dort eingeritzt hatten. Er blieb vor einem neuen Bild stehen, einem halb fertig gestellten Komplex aus Bögen und Strahlen, der ältere Graffiti überdeckte.
»Ich glaube nicht, dass ich diesen Beweis beenden werde«, verkündete er, nachdem er ihn ein Weilchen betrachtet hatte.
»Wir werden nicht heute Nacht weggehen. Wahrscheinlich bleibt Euch noch eine Woche – vielleicht mehr. Es gibt also keinen Grund, die Arbeit an dem Ding da abzubrechen, was immer es auch ist.«
»Es ist etwas Altes, das einmal sinnvoll war, aber nun ist es auf den Kopf gestellt worden und mutet nur noch wie ein Sammelsurium wunderlicher Vorstellungen an. Soll es mit dem anderen alten Kram hier bleiben«, sagte Daniel.
Château Juvisy
NOVEMBER 1688
Von Monsieur Bonaventure Rossignol, Château Juvisy An Seine Majestät Ludwig XIV.,Versailles
21. November 1688
Sire,
mein Vater hatte die Ehre, Eurer Majestät und dem Vater Eurer
Majestät als Kryptoanalytiker zu dienen. Er bemühte sich, mir
über die Kunst der Entschlüsselung alles beizubringen, was er
wusste. Beseelt durch die Liebe eines Sohnes zu seinem Vater
sowie den brennenden Wunsch eines Untertanen, seinem König
zu Diensten zu sein, strebte ich danach, so viel zu lernen, wie
meine bescheidenen Fähigkeiten es mir erlaubten; und falls mein
Vater, als er vor sechs Jahren starb, mir auch nur ein Zehntel dessen,
was er wusste, vermittelt hatte, nun, so genügte es, mich besser
als irgendeinen anderen Mann im Christentum darauf vorzubereiten,
Eurer Majestät als Kryptoanalytiker zu dienen; ein
Maßstab nicht für meine Bedeutung (denn ich kann nicht in
Anspruch nehmen, überhaupt welche zu besitzen), sondern die
meines Vaters und für das gesunkene Niveau der Kryptographie
in den ungebildeten Nationen, die Frankreich einschließen, wie
einst die barbarischen Horden das mächtige Rom.
Zusammen mit einem Teil seines Wissens habe ich das Salär geerbt, das Eure wohltätige Majestät ihm gewährte, und das Château, das Le Nôtre ihm in Juvisy erbaute und das Eurer Majestät wohl vertraut ist, da Ihr es auf der Durchreise nach und von Fontainebleau mehr als einmal mit Eurer Anwesenheit beehrt und Eurem Witz beglückt habt. Im petit salon und im Garten sind viele Staatsangelegenheiten debattiert worden, denn man weiß, dass Euer Vater seligen Angedenkens und Kardinal Richelieu dieses Haus ebenfalls mit ihrer Anwesenheit geadelt haben, in jenen Tagen nämlich, als mein Vater durch die Entschlüsselung der Nachrichten, die in die Festungsanlagen der Hugenotten und aus ihnen hinaus gingen, dazu beitrug, dass die Aufstände dieser Häretiker niedergeschlagen wurden.
Kein anderer Monarch hat je der Bedeutung der Kryptographie größere Aufmerksamkeit geschenkt als Ihr. Nur dieser Verstandesschärfe auf Seiten Eurer Majestät und nicht etwa irgendeinem Verdienst meiner Wenigkeit messe ich die Ehrentitel und Reichtümer bei, mit denen Ihr mich überhäuft habt. Und nur dem oft bezeigten Interesse Eurer Majestät an diesen Angelegenheiten ist es zu verdanken, dass ich es wage, die Feder zur Hand zu nehmen und eine Episode der Kryptoanalyse niederzuschreiben, die nicht gewisser extraordinärer Merkmale entbehrt.
Wie Eure Majestät wissen, zieren verschiedene Damen das unvergleichliche Schloss von Versailles, die unermüdliche Briefschreiberinnen sind, insbesondere meine Freundin, Madame de Sévigné, la Palatine und Eliza, die Gräfin de la Zeur. Es gibt noch viele andere; jedoch verbringen
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