Quicksilver
ans Ende ihrer Tage von der Außenwelt abzuschneiden.
In den ersten Monaten dieses Jahres hatte es zwischen der Gräfin de la Zeur und la Palatine eine Art Flirt gegeben, der seinen Höhepunkt im August zu erreichen schien, als die Gräfin eine Einladung von Madame annahm, sie (und den Bruder Eurer Majestät) in St-Cloud zu besuchen. Jeder, der davon wusste, nahm an, es handele sich um ein gewöhnliches, wenn auch lesbisches, Liebesabenteuer: eine so auf der Hand liegende Interpretation, dass sie allein dadurch schon mehr Skepsis bei jenen hätte auslösen müssen, die sich so viel auf ihre Weltklugheit zugute halten. Aber es war Sommer, das Wetter war warm und niemand schenkte dem irgendwelche Beachtung. Nicht lange nach ihrer Ankunft in St-Cloud schickte die Gräfin einen Brief an d’Avaux in Den Haag, der anschließend seinen Weg zurück auf meinen Schreibtisch fand. Hier ist er.
St-Cloud
AUGUST 1688
Eliza, Gräfin de la Zeur, an M. le Comte d’Avaux
16. August 1688
Monsieur,
der Sommer hat hier seinen Höhepunkt erreicht und denen, die, wie Madame, gern wilde Tiere jagen, stehen die besten Monate noch bevor. Doch für diejenigen, die, wie Monsieur, lieber hochzivilisierte Menschen jagen (oder sich von ihnen jagen lassen), ist das die beste Zeit des Jahres. Also erträgt Madame die Hitze und sitzt mit ihren Schoßhunden da und schreibt Briefe, während Monsieur nur darüber klagt, dass die sengende Hitze sein Make-up zerlaufen lässt. In St-Cloud wimmelt es von jungen Männern, Aficionados der Fechtkunst, die alles darum geben würden, ihre Klinge in seine Scheide zu stecken. Nach den Geräuschen zu urteilen, die aus seinem Schlafgemach dringen, ist sein Hauptliebhaber der Chevalier de Lorraine. Wenn der Chevalier sich aber verausgabt hat, ist der Marquis d’Effiat nie weit; und hinter ihm steht (sozusagen) eine ganze Queue von hübschen Kavalieren. Mit anderen Worten, hier wie in Versailles gibt es eine strenge Hackordnung (wobei man sich das Hacken allerdings hier anders vorstellen muss), und deshalb können die meisten dieser jungen Burschen die Hoffnung aufgeben, je mehr als bloßes schmückendes Beiwerk zu sein. Doch sie sind, wie alle anderen Männer, fortwährend lüstern. Da sie nicht im Haus an Monsieur ihre volle Befriedigung erlangen können, legen sie in den Gärten Hand aneinander. Es vergeht kein Spaziergang oder Ausritt, ohne dass man mitten in ein Stelldichein hineinplatzt. Und wenn diese jungen Männer unterbrochen werden, stehlen sie sich nicht verlegen davon, sondern beschimpfen einen (ermutigt durch die Gunst, die Monsieur ihnen erweist) auf eine unvorstellbar beleidigende Art und Weise. Wo ich gehe und stehe, nimmt meine Nase den Körpersaft der Lust wahr, dessen Geruch auf jedem Lufthauch und jeder Brise daherweht, denn er ist allgegenwärtig wie Weinpfützen in einer Taverne.
Liselotte hält das nun schon siebzehn Jahre aus, seit jenem Tag, als sie über den Rhein hierher kam, um nie wieder über den Rhein zurückzugehen. Daher ist es auch kein Wunder, dass sie sich nur selten in die elegante Welt wagt und die Gesellschaft ihrer Hunde und ihres Tintenfasses vorzieht. Man weiß von Madame, dass sie zu Angehörigen ihres Hofstaats sehr enge Beziehungen aufbaute – sie hatte einst eine Hofdame namens Théobon, die ihr ein großer Trost war. Doch Monsieurs Liebhaber – die von ihm ausgehalten werden und den lieben langen Tag nichts anderes zu tun haben, als Ränke zu schmieden – fingen an, Monsieur hinterhältige Gerüchte ins Ohr zu flüstern, und brachten ihn dazu, diese Théobon fortzuschicken. Madame war so erbost, dass sie sich selbst beim König beschwerte. Der König erteilte Monsieurs Liebhabern eine Rüge, schrak aber davor zurück, sich in die häuslichen Angelegenheiten seines Bruders einzumischen, und so ist Théobon vermutlich in irgendeinem Kloster gelandet und wird nie mehr zurückkehren.
Von Zeit zu Zeit empfangen sie hier Gäste und, wie Ihr wisst, diktiert dann das Protokoll, dass die Art von Kleid getragen wird, die man en manteau nennt und die noch steifer und noch weniger bequem ist (falls Ihr Euch das vorstellen könnt), als wenn man, wie in Versailles, en grand habit zu erscheinen hat. Als Botschafter seht Ihr ständig solchermaßen gekleidete Damen, aber als Mann seht Ihr nie, welche Vorkehrungen schon Stunden zuvor in den Privatgemächern der Damen getroffen werden, damit sie am Ende so aussehen. Sich en manteau zu kleiden ist ein technisches Unterfangen, das
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