Quicksilver
wir, die wir die Ehre haben, unsere Arbeit im cabinet noir Eurer Majestät zu verrichten, ebenso viel Zeit damit, die Korrespondenz dieser drei zu lesen, wie die aller anderen Damen von Versailles zusammen.
Mein Bericht betrifft vor allem die Gräfin de la Zeur. Sie schreibt häufig an M. le Comte d’Avaux in Den Haag und verwendet dabei die bewährte Geheimschrift, um ihre Korrespondenz vor meinen holländischen Pendants abzuschirmen. Außerdem unterhält sie zu bestimmten Juden in Amsterdam einen stetigen Strom von Briefen, die vornehmlich aus Zahlen und Finanzkauderwelsch bestehen, das, wenn man es gelesen hat, nicht zu entschlüsseln, und wenn man es entschlüsselt hat, nicht zu verstehen ist, es sei denn man ist vertraut mit der Funktionsweise der Amsterdamer Rohstoffmärkte, die ebenso gewöhnlich wie kompliziert sind. Diese Briefe sind ausgesprochen prägnant und für niemanden außer für Juden, Holländer und andere Personen, deren Beweggrund das Geld ist, von Interesse. Ihre bei weitem umfangreichsten Briefe gehen an den Hannoveraner Gelehrten Leibniz, dessen Name Eurer Majestät bekannt ist – er baute vor ein paar Jahren eine Rechenmaschine für Colbert und müht sich jetzt als Berater des Herzogs und der Herzogin von Hannover ab, deren Anstrengungen zugunsten des vereinigten Protestantismus Eurer Majestät so viel Verdruss bereitet haben. Scheinbar bestehen die Briefe der Gräfin de la Zeur an diesen Leibniz aus endlosen Beschreibungen der Herrlichkeit von Versailles und seinen Bewohnern. Allein der Umfang und die Beschaffenheit dieser Korrespondenz waren mir Anlass, mich zu fragen, ob sie nicht ein Kanal für verschlüsselte Nachrichten war; meine kümmerlichen Versuche, irgendwelche verborgenen Muster in ihren blumigen Worten zu finden, blieben jedoch ohne Ergebnis. Tatsächlich gründet mein Verdacht gegen diese Frau sich nicht auf irgendeine Lücke in ihrer Geheimschrift – die, unter der Voraussetzung, dass sie überhaupt existiert, sehr gut ist -, sondern auf das bisschen, was ich an Menschenkenntnis für mich in Anspruch nehmen kann. Denn während meiner gelegentlichen Besuche in Versailles habe ich diese Frau aufgesucht und sie in ein Gespräch verwickelt und festgestellt, dass sie hochintelligent ist und mit den neusten Werken von Mathematikern und Naturphilosophen aus dem In- und Ausland vertraut ist. Und selbstverständlich ist die Brillanz und Gelehrsamkeit von Leibniz allgemein anerkannt. Es kommt mir unwahrscheinlich vor, dass eine solche Frau so viel Zeit mit Schreiben und ein solcher Mann so viel Zeit mit Lesen über Haare verbringen könnte.
Vor ungefähr zwei Jahren suchte M. le Comte d’Avaux mich bei einem seiner Besuche am Hofe Eurer Majestät auf und stellte mir in Kenntnis meiner Position im cabinet noir viele gezielte Fragen über die Gewohnheiten der Gräfin bezüglich des Briefschreibens. Dadurch wurde offenbar, dass er einige meiner Vermutungen teilte. Später sagte er mir, er sei persönlich Zeuge eines Vorkommnisses geworden, bei dem sich deutlich gezeigt habe, dass diese Frau eine Agentin des Prinzen von Oranien sei. Damals erwähnte d’Avaux einen Schweizer namens Fatio de Duilliers und deutete an, er und die Gräfin de la Zeur stünden in irgendeiner Verbindung miteinander.
D’Avaux schien zuversichtlich, dass er genug wüsste, um diese Frau zu vernichten. Statt dies unmittelbar zu tun, war er zu dem Schluss gekommen, er könne Eurer Majestät einen größeren Dienst erweisen, wenn er eine kompliziertere und, die Erlaubnis Eurer Majestät vorausgesetzt, riskantere Strategie verfolgte. Wie allseits bekannt, mehrt sie das Geld der Vasallen Eurer Majestät, einschließlich d’Avaux, indem sie ihre Geldanlagen verwaltet. Der Preis für ihre sofortige Beseitigung wäre hoch – eine Überlegung, die niemals das Urteilsvermögen Eurer Majestät trüben könnte, bei Männern mit schwachem Willen und leichter Geldbörse jedoch sehr wirkungsvoll ist. Darüber hinaus teilte d’Avaux meinen Verdacht, dass sie durch irgendeinen verschlüsselten Kanal mit Sophie und durch Sophie mit Wilhelm kommunizierte, und hoffte, dass, falls es mir gelänge, eine kryptologische Unterbrechung dieses Kanals zu erreichen, das cabinet noir hernach vielleicht ihre Botschaften lesen könnte, ohne dass sie sich dessen bewusst wäre; was insgesamt für Frankreich vorteilhafter und für Eure Majestät angenehmer wäre, als die Frau, wie sie es verdient, in einem Nonnenkloster einzusperren und bis
Weitere Kostenlose Bücher