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Quicksilver

Quicksilver

Titel: Quicksilver Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Neal Stephenson
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mindestens so kompliziert ist wie das Takeln eines Schiffes. Keins von beiden ist ohne eine große, erfahrene Mannschaft denkbar. Madames Hofstaat ist jedoch durch die fortwährenden kleinlichen Intrigen von Monsieurs Liebhabern auf eine Stammmannschaft reduziert worden. Und in jedem Fall hat sie nichts für weibliche Eitelkeiten übrig. Sie ist alt und ausländisch und intelligent genug, um zu begreifen, dass Mode (für unbedeutendere Frauen so etwas wie die Schwerkraft) nur eine Erfindung, ein Einfall war. Sie wurde von Colbert als Möglichkeit erdacht, um jene Franzosen und Französinnen, die aufgrund ihres Wohlstands und ihrer Unabhängigkeit die größte Bedrohung für den König darstellen, unschädlich zu machen. Liselotte dagegen, die vielleicht gefährlich gewesen wäre, wurde bereits durch die Heirat mit Monsieur und den Eintritt in die königliche Familie unschädlich gemacht. Das Einzige, was ihr Land bisher noch davor bewahrt, von Frankreich annektiert zu werden, ist ein Streit darüber, ob sie oder ein anderer Nachfahre der Winterkönigin ihrem verstorbenen Bruder nachfolgen sollte.
Jedenfalls weigert sich Liselotte, das Spiel mitzuspielen, das Colbert erdacht hat. Natürlich hat sie eine Garderobe, und sie enthält verschiedene Kleider, die die Bezeichnungen grand habit und en manteau verdienen. Aber sie hat sie auf eine Weise hergerichtet, die einzigartig ist. In Madames Garderobe sind alle Schichten aus Unterwäsche, Miedern, Unterröcken und Oberbekleidung, die normalerweise nacheinander angezogen werden, zu einem einzigen Konstrukt zusammengenäht, das so schwer und steif ist, dass es von alleine steht, und im Rücken geschlitzt ist. Wenn Monsieur eine große Gesellschaft gibt, schleppt Liselotte sich nackt in ihr Ankleidezimmer und tritt in ein solches ein und bleibt ein Weilchen stehen, während eine Hofdame es im Rücken mit verschiedenen Knöpfen, Haken und Bändern zusammenzieht. Von dort geht sie schnurstracks zu der Gesellschaft, ohne auch nur einen flüchtigen Blick in den Spiegel zu werfen.
Dieses kleine Porträt des Lebens in St-Cloud will ich mit einer Hundegeschichte beschließen. Wie schon erwähnt, ist la Palatine wie Artemis nie weit von ihrer Hundemeute entfernt. Natürlich sind es keine flinken Jagdhunde, sondern Schoßhündchen, die sich im Winter an ihren Füßen zusammenrollen, um ihr die Zehen warm zu halten. Sie hat sie nach Menschen und Orten benannt, die ihr aus ihrer Kindheit in der Pfalz noch in Erinnerung geblieben sind. Den ganzen Tag über jagen sie in ihren Gemächern umher, geraten in absurde Fehden und Streitereien, wie die Höflinge auch. Manchmal treibt sie sie alle auf den Rasen hinaus, wo sie im Sonnenschein herumrennen und die amours von Monsieurs Müßiggängern unterbrechen, und dann ist der Frieden dieser erlesenen Gärten durch die wütenden Schreie der Liebhaber und das Gebell der Hunde gestört; die Kniebundhosen um die Knöchel, verscheuchen die Kavaliere sie von ihren Treffpunkten, und Monsieur tritt im Morgenmantel auf seinen Balkon und schickt sie alle zum Teufel und fragt sich laut, warum Gott ihn damit bestraft hat, Liselotte zu heiraten.
Der König besitzt zwei Jagdhunde namens Phobos und Deimos, die sehr passende Namen tragen, denn sie wurden mit den Abfällen vom Tisch des Königs gefüttert und sind riesengroß geworden. Der König hat sie schrecklich verwöhnt, und deshalb haben sie keine Disziplin und fühlen sich berechtigt zu attackieren, was immer ihnen in den Sinn kommt. Da der König weiß, wie sehr Liselotte die Jagd und Hunde liebt und wie einsam und isoliert sie ist, hat er versucht, sie für diese Bestien zu interessieren – er möchte, dass Liselotte Phobos und Deimos als ihre eigenen Haustiere betrachtet und ihnen dieselbe Zuneigung entgegenbringt wie der König, so dass sie, wenn die Zeit dafür gekommen ist, im Osten auf Hochwildjagd gehen können. Bislang ist es nichts weiter als ein Vorschlag. Madame ist mehr als nur ein bisschen ambivalent. Phobos und Deimos sind zu groß und ungebärdig, um sie noch länger in Versailles zu halten, und so brachte der König seinen Bruder dazu, sie in St-Cloud zu halten, auf einer Pferdekoppel, auf der sie frei herumlaufen können. Längst haben die Bestien sämtliche Kaninchen getötet und aufgefressen, die einst in dieser Umfriedung gelebt haben, und jetzt setzen sie ihre ganze Energie daran, Schwachstellen im Zaun zu suchen, die sie vielleicht untergraben oder überspringen können, um im

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