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Quicksilver

Quicksilver

Titel: Quicksilver Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Neal Stephenson
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erweitern und nicht niederzureißen trachte.
Leibniz
 
P.S. Ich kenne die Eliza (mittlerweile de la Zeur), die Ihr in Eurem jüngsten Brief erwähnt. Sie scheint sich zu Naturphilosophen hingezogen zu fühlen. Ein seltsamer Zug bei einer Frau, aber wer sind wir, dass wir uns darüber beklagen wollen?
    »Dr. Waterhouse.«
    »Sergeant Shaftoe.«
    »Eure Besucher sind eingetroffen – Mr. Bob Carver und Mr. Dick Gripp.«
    Daniel setzte sich im Bett auf; nie war er so schnell wach geworden. »Bitte, Sergeant, ich flehe Euch an, lasst sie nicht -«, begann er, doch dann hielt er inne, weil ihm einfiel, dass Sergeant Shaftoe sich vielleicht schon entschieden hatte, dass die Würfel gefallen waren und er, Daniel, sich bloß erniedrigte. Er rappelte sich auf und schlurfte über den Holzboden auf Sergeant Shaftoes Gesicht und seine Kerze zu, die wie ein unscharfer Doppelstern in der Dunkelheit schwebten: das Gesicht ein fahler, rötlicher Fleck, die Kerze ein brennender weißer Punkt. Das Blut wich aus Daniels Kopf, und er wankte, aber er zögerte nicht. Er war nichts weiter als eine blökende Stimme in der Dunkelheit, bis er in den auf jener Flamme balancierenden Lichtkreis eintrat; falls Bob Shaftoe daran dachte, die Mörder in diesen Raum einzulassen, sollte er Daniel zuerst voll ins Gesicht sehen. Genau wie die Schwerkraft wurde auch das Strahlen des Lichts vom Gesetz des inversen Quadrats bestimmt.
    Schließlich konnte er Shaftoes Gesicht deutlich erkennen. Der Sergeant wirkte leicht seekrank. »Ich bin nicht so ein gemeiner Schurke, der es zulässt, dass zwei gedungene Mörder einen hilflosen Professor aufspießen. Es gibt auf der ganzen Welt nur einen Mann, den ich so hasse, dass ich ihm ein solches Ende wünsche.«
    »Danke«, sagte Daniel, der nun so nahe kam, dass er die schwache Wärme der Kerzenflamme im Gesicht spüren konnte.
    Shaftoe bemerkte irgendetwas, wandte sich halb von Daniel ab und räusperte sich. Es war dies kein geziertes, prätentiöses Oberklassenhüsteln, sondern der ehrliche, legitime Versuch, einen wirklichen Schleimklumpen zu lösen, der ihm in die Kehle geraten war.
    »Ihr habt bemerkt, dass ich mich bepisst habe, nicht wahr?«, sagte Daniel. »Ihr denkt, es ist Eure Schuld – Ihr hättet mir gerade eben solche Angst eingejagt, dass ich meinen Urin nicht halten konnte. Nun ja, Ihr habt meinen Urinfluss zwar in Gang gesetzt, aber das ist nicht der Grund, warum mir Pisse das Bein hinunterläuft. Ich habe den Stein, Sergeant, und kann deshalb nicht Wasser lassen, wann es mir beliebt, sondern lecke und tröpfle wie ein undichtes Fass.«
    Bob Shaftoe nickte und wirkte einigermaßen von seinen Gewissensbissen befreit. »Wie lange habt Ihr denn noch?«
    Er stellte die Frage so beiläufig, dass Daniel sie zunächst nicht begriff. »Ach so – zu leben, meint Ihr?« Der Sergeant nickte. »Verzeiht mir, Sergeant Shaftoe, ich habe vergessen, dass Ihr dank Eures Berufs auf so vertrautem Fuße mit dem Tod steht, dass Ihr von ihm sprecht wie ein Schiffskapitän vom Wind. Wie lange ich noch habe? Vielleicht ein Jahr.«
    »Ihr könntet ihn Euch schneiden lassen.«
    »Ich habe gesehen, wie Männern der Stein geschnitten wurde, Sergeant, und ich sterbe lieber, vielen Dank. Ich wette, es ist schlimmer als alles, was Ihr je auf dem Schlachtfeld erlebt haben mögt. Nein, ich folge dem Beispiel meines Mentors John Wilkins.«
    »Es haben aber doch auch Männer überlebt, denen der Stein geschnitten wurde, nicht wahr?«
    »Mr. Pepys bekam ihn vor fast dreißig Jahren geschnitten und lebt immer noch.«
    »Er geht umher? Spricht? Lässt Wasser?«
    »Allerdings, Sergeant Shaftoe.«
    »Dann, mit Verlaub, Dr. Waterhouse, ist das Schneiden des Steins nicht schlimmer als alles, was ich auf dem Schlachtfeld gesehen habe.«
    »Wisst Ihr, wie die Operation durchgeführt wird, Sergeant? Der Einschnitt erfolgt durch das Perineum, das ist die empfindliche Stelle zwischen Eurem Hodensack und Eurem After -«
    »Wenn es dahinkommt, dass wir uns gegenseitig Schauergeschichten erzählen, werden wir hier sitzen, bis die Kerze heruntergebrannt ist, ohne irgendetwas zu erreichen; und wenn Ihr wirklich vorhabt, am Stein zu sterben, solltet Ihr nicht so viel Zeit vergeuden.«
    »Man kann hier nichts anderes tun als Zeit vergeuden.«
    »Da irrt Ihr Euch aber, Dr. Waterhouse, denn ich habe Euch so etwas wie einen hochinteressanten Vorschlag zu machen. Wir werden einander helfen, Ihr und ich.«
    »Wollt Ihr Geld dafür, dass Ihr Jeffreys’

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