Quicksilver
Gelände jenseits davon zu wildern. Kürzlich brachen sie an der südöstlichen Ecke aus und liefen frei durch den Hof dahinter und rissen sämtliche Hühner. Das Loch ist inzwischen repariert. Während ich dies schreibe, kann ich beobachten, wie Phobos an der nördlichen Zaunlinie auf und ab läuft und nach einer Möglichkeit sucht, auf das Nachbargrundstück zu springen, das einem anderen Adligen gehört, der mit meinen Gastgebern noch nie auf gutem Fuß stand. Unterdessen arbeitet Deimos weiter an einer Aushöhlung unter der östlichen Mauer, in der Hoffnung, durchzustoßen und in dem Hof Amok zu laufen, in dem Madame mit ihren Schoßhündchen arbeitet. Ich habe keine Ahnung, wer es als Erster schafft.
Jetzt muss ich meinen Stift hinlegen, denn vor ein paar Monaten versprach ich Madame, dass ich ihr eines Tages eine Vorführung im Reiten ohne Sattel, nach Qwghlmianer-Art, geben würde, und jetzt ist die Zeit gekommen. Ich hoffe, meine kleine Beschreibung des Lebens in St-Cloud kam Euch nicht zu vulgär vor, doch da Ihr wie jeder gebildete Mann ein Kenner der Conditio humana seid, dachte ich, es würde Euch vielleicht faszinieren zu erfahren, welch kleinbäuerlicher Streit und Groll hinter der so überaus eleganten Fassade von St-Cloud vorherrscht.
Eliza, Gräfin de la Zeur
Rossignol an Ludwig XIV. (Forts.)
NOVEMBER 1688
Eure Majestät werden bereits durchschaut haben, dass Phobos und Deimos Metaphern für die französische Streitmacht sind; ihre hühnermordende Eskapade ist der jüngste Feldzug, bei dem Eure Majestät die aufständischen Protestanten in Savoyen zur Raison brachten; und die Frage, wo sie als Nächstes angreifen, ein Ausdruck dafür, dass die Gräfin nicht sagen konnte, ob Eure Majestät im Norden in die Holländische Republik oder im Osten in die Pfalz einzufallen gedachten. Genauso offenkundig ist, dass diese Sätze ebenso Wilhelm von Oranien galten – dessen Diener den Brief lesen würden, bevor er d’Avaux erreichte – wie dem Empfänger.
Weniger leicht zu durchschauen ist vielleicht der Hinweis auf das Reiten ohne Sattel. Ich hätte vermutet, dass es für eine ihrer Liebespraktiken stand, nur ist die Gräfin in ihren Briefen nie so vulgär. Mit der Zeit kam ich darauf, dass es wörtlich gemeint war. So schwer es Eurer Majestät auch fallen mag, es zu glauben, ich weiß von einigen von Monsieurs Freunden, dass Madame und die Gräfin de la Zeur an diesem Tag tatsächlich einen Ausritt machten und dass Letztere darum bat, man möge ihrem Pferd keinen Sattel auflegen. So ritten sie hinaus in den Park, in Begleitung zweier junger Cousins von Madame aus Hannover. Doch bei ihrer Rückkehr war das Pferd der Gräfin nicht nur ohne Sattel, sondern auch ohne Reiterin; es hieß nämlich, sie sei vom Pferd gefallen, nachdem es gescheut hätte, und die Verletzung, die sie dabei erlitten habe, hätte es ihr unmöglich gemacht zurückzureiten. Das sei unweit des Flussufers passiert. Zum Glück hätten sie ein vorbeifahrendes Boot rufen können und das habe die verletzte Gräfin flussaufwärts zu einem nahe gelegenen Kloster gebracht, das von Madame großzügig unterstützt wird. Dort, so hieß es jedenfalls, würde die Gräfin von den Nonnen gepflegt, bis ihre Knochen wieder geheilt seien.
Unnötig zu sagen, dass nur ein kleines Kind eine solche Geschichte glauben würde; alle vermuteten das nahe Liegende, nämlich dass die Gräfin schwanger geworden war und die Phase der Genesung in dem Kloster gerade so lange dauern würde, dass sie eine Abtreibung machen lassen oder das Kind zur Welt bringen könnte. Ich verschwendete keinen weiteren Gedanken daran, bis ich einige Wochen später eine Nachricht von d’Avaux erhielt. Selbstverständlich war sie verschlüsselt. Den von Höflichkeiten, Formalitäten und anderem Ballast befreiten Klartext lege ich bei.
Französische Botschaft, Den Haag
17. SEPTEMBER 1688
Von Jean Antoine de Mesmes, Comte d’Avaux
Französische Botschaft, Den Haag
An Monsieur Bonaventure Rossignol
Château Juvisy , Frankreich
Monsieur Rossignol,
Ihr und ich, wir haben beide Gelegenheit gehabt, über die Gräfin de la Zeur zu sprechen. Ich weiß schon seit einer Weile, dass ihre Loyalität in Wahrheit dem Prinzen von Oranien gilt. Bis heute hat sie sich Mühe gegeben, das zu verbergen. Nun hat sie endlich Farbe bekannt. Jedermann glaubt, sie sei in einem Kloster in der Nähe von St-Cloud und habe ein Baby bekommen. Heute jedoch stieg sie direkt unter den Zinnen des Binnenhofs
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