Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Quicksilver

Quicksilver

Titel: Quicksilver Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Neal Stephenson
Vom Netzwerk:
steuerte die Gasse hinab auf den Byward Tower, den Ausgang nach London, zu. Daniel fasste neben ihm Tritt, und nach wenigen Schritten hatten sie die Wassermaschine weit genug hinter sich gelassen, um ohne zu brüllen miteinander reden zu können.
    »Ich war drauf und dran, ohne Euch aufzubrechen«, sagte Bob etwas scharf.
    »Wohin denn?«
    »Ich weiß nicht. Castle Upnor.«
    »Er ist noch nicht dort. Ich wette, er ist noch in London.«
    »Dann gehen wir zum Charing Cross«, sagte Bob, »ich glaube, er hat dort in der Nähe ein Haus.«
    »Können wir Pferde bekommen?«
    »Ihr meint, ob der Befehlshaber des Tower Euch, einem entflohenen Häftling, unentgeltlich ein Pferd zur Verfügung stellen würde?«
    »Egal, es gibt andere Möglichkeiten, die Strand hinunterzukommen. Irgendwelche Neuigkeiten betreffend Jeffreys?«
    »Ich habe Bob Carver nachdrücklich klar gemacht, wie überaus wichtig es ist, dass er uns nützliche Informationen über den Aufenthaltsort dieses Mannes liefert«, sagte Bob. »Ich glaube nicht, dass seine Angst gespielt war; andererseits hat er ein kurzes Gedächtnis, und London bietet heute Nacht viele Zerstreuungen, die für einen Mann seines Charakters höchst verlockend sind.«
    Nach Passieren des Byward Tower gelangten sie ins Freie und schlugen den Fußweg über den Graben ein: zunächst eine Bohlenbrücke, die sich zur Seite schwenken ließ, dann eine steinerne Rampe, die auf den festen Fußweg führte. Hier trafen sie auf John Churchill, der eine Pfeife rauchte und sich in Gesellschaft zweier bewaffneter Herren befand, die Daniel immerhin so gut kannte, dass er sich ihrer Namen hätte entsinnen können, wenn es der Mühe wert gewesen wäre. Churchill löste sich von ihnen, als sein Blick auf Daniel fiel, ging ein paar Schritte mit und bedachte Bob dabei mit einem funkelnden Blick, der »weitergehen« bedeutete. Und so fand sich Daniel schließlich allein mitten auf dem Fußweg, Aug in Auge mit John Churchill.
    »Ich habe wirklich keine Ahnung, ob Ihr im Begriff steht, mich zu umarmen und mir zu danken oder mich zu erstechen und in den Graben zu stoßen«, sprudelte Daniel hervor, weil er nervös und zu erschöpft war, um seine Zunge zu hüten.
    Churchill schien Daniels Worte mit höchstem Ernst aufzunehmen – Daniel nahm an, er müsse aus schierem Glück etwas schrecklich Bedeutungsvolles gesagt haben. Er war Churchill häufig in Whitehall begegnet, wo diesen stets so etwas wie eine Aura oder ein Nimbus von Wichtigkeit umgeben hatte, deren innerster Kern seine Perücke war. Man spürte, der Mann war im Kommen. Nie war er wichtiger gewesen als heute Nacht – doch hier auf diesem Fußweg blieb von seiner Aura nur seine Perücke, die dringend der Pflege bedurfte. Es war leicht, ihn als Sir Winstons Burschen zu sehen, einen Jungfuchs der Royal Society, der sich in die große Politik begeben hatte.
    »So wird es von jetzt an für jeden sein«, sagte Churchill. »Die alten Maßgaben, nach denen wir die Tugend eines Mannes bestimmten, sind abgeschafft, zusammen mit der absoluten Monarchie. Eure Revolution ist allumfassend. Und sie ist tückisch. Ich weiß nicht, ob Ihr am Ende mit ihren Tücken in Konflikt geraten werdet. Falls aber doch, so wird es nicht von meiner Hand geschehen …«
    »Euer Gesicht scheint zu sagen: ›Vorausgesetzt …‹«
    » Vorausgesetzt, Ihr bleibt weiterhin der Feind meiner Feinde -«
    »Mir bleibt kaum eine Wahl.«
    »Das sagt Ihr . Aber wenn Ihr durch das Tor dort tretet«, sagte Churchill und deutete auf den am Ende des Fußweges gelegenen Middle Tower, der nur als krenelierte Silhouette vor dem orangefarbenen Himmel sichtbar war, »werdet Ihr Euch in einem London wiederfinden, das Ihr nicht mehr kennt. Die Veränderungen, die der große Brand herbeigeführt hat, waren gar nichts dagegen. In jenem London sind Loyalität und Treue subtil und fließend. Es ist ein Schachbrett, auf dem es nicht nur schwarze und weiße Figuren gibt, sondern auch andere, in verschiedenen Farben. Ihr seid ein Läufer, und ich bin ein Springer, so viel kann ich anhand unserer Gestalt und der Veränderungen, die wir auf dem Brett bewirkt haben, sagen; aber bei Feuerschein fällt es schwer, Eure wahre Farbe auszumachen.«
    »Ich bin seid vierundzwanzig Stunden auf den Beinen und kann Euch nicht folgen, wenn Ihr in Bildern sprecht.«
    »Es liegt nicht daran, dass Ihr müde, sondern daran, dass Ihr Puritaner und Naturphilosoph seid; beide Gruppen sind nicht eben für ihr Verständnis des

Weitere Kostenlose Bücher