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Quicksilver

Quicksilver

Titel: Quicksilver Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Neal Stephenson
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Gewitzte Bauherren wie Sterling (der Earl von Willesden) Waterhouse und Roger (der Marquis von Ravenscar) Comstock hatten ganze Viertel gebaut, wo Höflinge hingingen, um ebendies zu tun. Von dem Begriff »Schaufenster« hatte man eine ganz neue Beschäftigung abgeleitet; die Leute machten jetzt einen »Schaufensterbummel«. Daniel ließ sich natürlich niemals zu diesem neumodischen Laster herab – doch jetzt, während er den Fluss überquerte, schien er etwas ganz Ähnliches mit Schiffen zu tun. Und er war ein kritischer Betrachter. Die Boote der Fährleute, die Schmacken und Barken würdigte er keines Blickes, und die Küstenschiffe – alles, was als Gaffelschoner getakelt war – waren kaum mehr als Hindernisse. Er hob den Blick über das Gewirr, um nach den großen Schiffen Ausschau zu halten, die ihre Rahen in die Luft streckten wie Priester der Hochkirche die Arme, wenn sie Sakramente über das gemeine Volk erheben, in den Himmel, wo der Wind beherzt und gerade blies.Von diesen Rahen hingen die Segel wie Messgewänder herab. Im Pool lagen in dieser Nacht nicht viele Schiffe, aber Daniel machte sie alle ausfindig und taxierte sie gründlich. Seine Suche galt etwas, das ihn von hier fortbringen konnte; zum ersten Mal in seinem Leben wollte er eine Reise tun, die ihn außer Sichtweite von Land führte, um auf einem anderen Kontinent zu sterben und begraben zu werden.
    Besonders ein Schiff stach ihm ins Auge: schlank, wohlproportioniert und straff geführt.Von einer schwachen südlichen Brise vorwärts getrieben, machte es sich die Flut zunutze, um flussaufwärts zu kommen. Die Luftbewegung war zu schwach, als dass Daniel sie hätte wahrnehmen können, aber die Mannschaft dieses Schiffes, der Hare, hatte in den an den Mastspitzen herabbaumelnden Wimpeln leise Lebenszeichen wahrgenommen und die Toppsegel gesetzt. In ihnen fing sich ein wenig Luft. Auch fing sich darin etwas von dem Feuerschein aus der Stadt, sodass sie lange, prismatische Schatten in die Leere warfen. Die Segel der Hare schwebten über dem schwarzen Fluss und schimmerten wie Fenster mit geschlossenen Vorhängen. Mr. Bhnh hielt sich etwa eine halbe Meile in ihrem Kielwasser und machte sich die Fahrrinne zunutze, welche das große Schiff sich zwischen den kleineren bahnte. »Sie ist für eine lange Reise gerüstet«, sinnierte er, »segelt wahrscheinlich mit der nächsten Tide nach Amerika ab.«
    »Ich wollte, ich hätte einen Enterhaken«, sagte Daniel, »dann würde ich wie ein Pirat an Bord klettern und als blinder Passagier mitfahren.«
    Dies verblüffte Mr. Bhnh, der es nicht gewohnt war, von seiner Kundschaft solche Hirngespinste zu hören. »Wollt Ihr nach Amerika, Mr. Waterhouse?«
    »Eines Tages schon«, sagte Daniel, »aber noch ist in diesem Lande einiges aufzuräumen.«
    Es widerstrebte Mr. Bhnh, Daniel in der von Flammen erleuchteten Wildnis von East London abzusetzen, wo es in dieser Nacht von betrunkenen Schlammlerchen wimmelte, die auf wirkliche oder eingebildete Jesuiten Jagd machten. Daniel schenkte den besorgten Einwänden des guten Mannes keine Beachtung. Er hatte es ohne Schwierigkeiten den ganzen Weg von Sheerness bis hierher geschafft. Selbst in der Schänke dort hatte man ihn in Ruhe gelassen. Wer ihn überhaupt beachtete, verlor rasch das Interesse, oder (seltsam zu berichten) er verlor den Mut und wandte den Blick ab. Denn Daniel besaß mittlerweile die ungekünstelte Nonchalance eines Menschen, der wusste, dass er in einem Jahr ohnehin tot sein würde; die Leute schienen das Grab an ihm zu riechen und ließen ihn nur zu gern in Ruhe.
    Andererseits brauchte ein Mann mit wenig Lebenszeit und ohne Erben nicht so geizig zu sein. »Ich gebe Euch ein Pfund, wenn Ihr mich direkt zum Tower fahrt«, sagte Daniel. Dann, als er einen wachsamen Ausdruck in Mr. Bhnhs Gesicht sah, schnürte er seine Börse auf und durchwühlte neben der Bootslaterne eine Hand voll Münzen, bis er eine fand, die ein wenig glänzte und fast rund war. In der Mitte wies sie einen ramponierten und zerkratzten silbernen Klacks auf, der sich bei sorgsamem Schräghalten und Augenzusammenkneifen unter Aufbietung aller Phantasie als Porträt des ersten Königs James auffassen ließ, der vor einigen sechzig Jahren gestorben war, jedoch nach allgemeinem Dafürhalten die Münze sachkundig verwaltet hatte. Die Hand des Fährmanns schloss sich über diesem Gegenstand und klappte mit einem beinahe hörbaren Geräusch fast so schnell wie Daniels Augenlider zu. Dieser

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