Quicksilver
Flammen ihre Zähne in den Brennstoffnachschub und hellten sich auf, während sie an Hitze zunahmen.
Daniel hielt auf seiner Kreisbahn inne, um auf eine Karte zu starren, die mit Tinten vieler Farben auf hochwertiges Pergament gezeichnet war. Der heißeste Teil des Feuers befand sich dahinter, sodass Licht durch die Leerstellen auf der Karte schien – von denen es viele gab, denn es handelte sich um eine Karte von einem weitestgehend unerforschten Meer, und die weißen Stellen waren mit Ungeheuern und krausköpfigen Menschenfressern ausgeschmückt. Ein mit einer Art goldener Tinte ausgeführtes Inselgrüppchen, das die Aufschrift »Die Inseln König Salomons« trug, zierte das Blatt. Noch während Daniel hinsah, loderten die goldenen Linien auf und brannten ab wie Schießpulverspuren; die Worte verschwanden aus der Welt, doch sie waren seinem Gedächtnis in flammenden Buchstaben eingebrannt.
»Das ist das Haus von M. LeFebure«, erklärte Daniel, während er mit Bob im Schlepptau darauf zuging. »Seht Ihr die drei großen Fenster über dem Eingang, die von dem Licht, das durch ihre Vorhänge scheint, blutrot schimmern? Einmal saß Isaac Newton hinter diesen Fenstern, und ich habe ihm mit seinem eigenen Fernrohr nachspioniert.«
»Was hat er dort gemacht?«
»Mit dem Earl von Upnor Bekanntschaft geschlossen – den es so dringend danach verlangte, ihn kennen zu lernen, dass er ihn sogar beschatten ließ.«
»Was ist denn dieses Haus? Eine Sodomitenhöhle?«
»Nein. Seit der Restauration war es der wichtigste Schlupfwinkel von Alchimisten in der Stadt. Ich habe nie einen Fuß hineingesetzt, aber jetzt gehe ich hinein; falls ich nicht wieder herauskomme, geht Ihr zum Tower und sagt Eurem Herrn, es sei an der Zeit, dass er seinen Teil des Vertrags erfüllt.«
Der dickbäuchige Bediente hatte Daniel näher kommen sehen und stand wachsam an der Tür. »Ich will mich ihnen anschließen«, blaffte Daniel und schob sich an ihm vorbei in die Eingangshalle.
Das Haus war im Stil von Versailles ausgestattet – überaus prachtvoll, so teuer wie möglich und darauf berechnet, die Standespersonen zu beeindrucken, die hierher kamen, um sich bei M. LeFebure Pülverchen und Fläschchen zu kaufen. Der Hausherr war nicht da, denn er war bereits außer Landes geflohen. Das erklärte weitgehend, warum das Haus in dieser Nacht ungefähr so elegant anmutete wie ein Fischmarkt. Bediente und zwei Herren schafften Sachen aus den oberen Stockwerken herunter und aus dem Keller herauf, ließen sie auf Tische oder Böden plumpsen und warfen sie durcheinander. Nach einer Weile ging Daniel auf, dass einer der Herren Robert Boyle und der andere Sir Elias Ashmole war. Neun von zehn Gegenständen wurden in Richtung Tür befördert, um zum Feuer hinausgeschleppt zu werden. Der Rest wurde zwecks Abtransport in Taschen und Kisten verpackt. Abtransport wohin, das war die Frage. In der Küche war ein Böttcher bei der Arbeit, der alte Bücher wasserdicht in Fässern verpackte, was vermuten ließ, dass irgendwer eine Seereise ins Auge fasste.
Mit zielstrebigen Schritten, als kenne er sich hier tatsächlich aus, stieg Daniel die Treppe hinauf. Orientieren konnte er sich im Grunde nur anhand vager Erinnerungen an das, was er vor zwanzig Jahren durch das Fernrohr erspäht hatte. Wenn sie ihn nicht trogen, war das Zimmer, in dem sich Upnor und Newton getroffen hatten, dunkel vertäfelt und voller Bücher. Daniel hatte seit zwei Jahrzehnten sonderbare Träume von diesem Zimmer. Nun stand er endlich im Begriff, es zu betreten. Aber er war todmüde, so erschöpft, dass sich das Ganze ohnehin nur wenig von einem Traum unterschied.
Auf der Treppe und im oberen Flur brannte mindestens ein Gros Kerzen: wenig sinnvoll, sie jetzt noch aufzusparen. Mit Spinnweben überzogene Kandelaber waren ihrem Verwahrungsort entrissen und mit nicht zueinander passenden Kerzen bestückt worden, und auf kostbaren, polierten Handläufen klebten flackernde Bienenwachslichter in erstarrten Wachsflecken. Ein Gemälde des Hermes Trismegistus war vom Haken genommen worden und diente dazu, die Tür zu einer kleinen Kammer offen zu halten, einer Art Anrichteraum am oberen Treppenabsatz, in dem es ziemlich dunkel war; doch vom Flur her fiel so viel Licht ein, dass Daniel einen hageren Mann mit vorspringender Nase und großen dunklen Augen erkennen konnte, die einen traurigen, gedankenverlorenen Ausdruck zeigten. Er unterhielt sich mit jemandem, der weiter hinten im Zimmer saß und den
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