Quicksilver
niemand über irgendetwas anderes als die Nachrichten, die mit der letzten Post gekommen sind, oder die Frage, wann die nächste Post erwartet wird. Für diejenigen unter uns, die mehr an Philosophie interessiert sind, bedeutet das langweilige Abendessen! Die Heilige Allianz hat Lipova eingenommen, das, wie Ihr wissen müsst, das Tor zu Transsylvanien ist, und es besteht die Hoffnung, dass die Türken in Kürze bis ans Schwarze Meer zurückgetrieben werden. Und in einem Monat werde ich Euch einen anderen Brief schreiben können, der denselben Satz mit einer weiteren Reihe unverständlicher Ortsnamen enthalten wird. Verflucht sei der Balkan.
Verzeiht, wenn ich Euch respektlos erscheine. Venedig scheint diese Wirkung auf mich zu haben. Die Stadt finanziert ihre Kriege auf althergebrachte Weise, durch die Erhebung von Steuern auf den Handel, und das schränkt natürlich ihren Spielraum ein. Im Gegensatz dazu sind die Berichte, die ich aus England und Frankreich höre, höchst beunruhigend. Erst berichtet Ihr mir, dass (Euren Quellen in Versailles zufolge) Ludwig XIV. die Silberteile des Mobiliars in den Grands Appartements einschmelzen lässt, um die Aushebung einer noch größeren Armee zu bezahlen (aber vielleicht wollte er ja auch nur eine neue Dekoration). Als Nächstes schreibt mir Huygens aus London, die dortige Regierung sei auf die Idee gekommen, die Armee und die Kriegsflotte durch die Schaffung einer nationalen Verbindlichkeit zu finanzieren – wobei sie ganz England als Sicherheit benutze und eine Sondersteuer erhebe, die dazu bestimmt sei, sie zurückzuzahlen. Ich kann mir den Aufruhr, den diese Neuerungen in Amsterdam verursacht haben müssen, lebhaft vorstellen! Huygens erwähnte auch, dass das Schiff, auf dem er über die Nordsee fuhr, mit Amsterdamer Juden bevölkert war, die ihren gesamten Hausrat und ihr ganzes Vermögen nach London mitnahmen. Bestimmt ist einiges von dem Silber, das früher Ludwigs Lieblingslehnstuhl zierte, auf diese Art über das Ghetto von Amsterdam zum Tower von London gelangt, wo es zu neuen Münzen mit dem Abbild von Wilhelm und Mary geprägt und dann verschickt wurde, um den Bau neuer Kriegsschiffe in Chatham zu bezahlen.
Bis jetzt scheint Ludwigs Kriegserklärung an England hierzulande wenig Wirkung zu haben. Die Kriegsflotte des Duc d’Arcachon beherrscht das Mittelmeer und soll um Smyrna und Alexandria herum viele holländische und englische Handelsschiffe aufgebracht haben, aber eine regelrechte Seeschlacht hat es, soweit ich weiß, nicht gegeben. Desgleichen soll James II. in Irland gelandet sein, von wo aus er Angriffe gegen England zu führen hofft, aber gehört habe ich von dort nichts.
Meine Hauptsorge gilt Euch, Eliza. Huygens gab mir eine gute Beschreibung von Euch. Er war gerührt, dass Ihr und diese Frauen von fürstlichem Geblüt – Prinzessin Eleonore und Klein-Caroline – die Mühe auf sich nahmen, ihm vor seiner Reise nach London auf Wiedersehen zu sagen, vor allem in Anbetracht der Tatsache, dass Ihr zu diesem Zeitpunkt schon ungeheuer schwanger wart. Er bediente sich mehrerer Metaphern aus der Astronomie, um mir Eure Rundheit, Euren gewaltigen Umfang, Euer Strahlen und Eure Schönheit zu vermitteln. Seine Zuneigung zu Euch ist offenkundig, und ich glaube, dass es ihn ein ganz klein wenig traurig macht, dass er nicht der Vater ist (wer ist es denn, nebenbei bemerkt? Denkt dran, ich bin in Venedig, Ihr könnt mir alles erzählen, und mich kann nichts schockieren).
Da ich weiß, wie sehr die Finanzmärkte Euch fesseln, sorge ich mich jedenfalls, dass die jüngsten Umwälzungen Euch in die Raserei des Damplatzes ziehen, was für jemanden in anderen Umständen kein guter Ort wäre.
Doch es hat wenig Sinn, dass ich mir jetzt den Kopf darüber zerbreche, denn inzwischen muss die Zeit Eurer Niederkunft gekommen sein, aus der Ihr und Euer Baby tot oder lebendig hervorgegangen sein und den Weg ins Säuglingszimmer oder ins Grab genommen haben müsst; ich bete, dass Ihr beide im Säuglingszimmer seid, und immer, wenn ich ein Bild der Madonna mit dem Kind sehe (was in Venedig ungefähr dreimal in der Minute passiert), stelle ich mir vor, es sei ein ziemlich gutes Porträt von Euch und dem Euren.
Desgleichen sende ich meine Gebete und besten Wünsche an die Prinzessinnen. Ihre Geschichte war Mitleid erregend, schon bevor sie durch den Krieg zu Flüchtlingen gemacht wurden. Es ist gut, dass sie in Den Haag eine sichere Zuflucht gefunden haben, und eine Freundin wie
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