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Quicksilver

Quicksilver

Titel: Quicksilver Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Neal Stephenson
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sie perfekt Englisch spricht? Und so bin ich hier gelandet, weit fort von zu Hause, und versuche, selbst den geringsten der Vorfahren ihres Mannes unter den Welfen und Ghibellinen ausfindig zu machen. Ach Venedig! Jeden Tag falle ich auf die Knie und danke Gott, dass Sophie und Ernst August nicht von Leuten abstammen, die in einem Ort wie Lipova leben.
In jedem Fall hoffe ich, dass Ihr, Eleonore, Caroline und, so Gott will, Euer Baby wohlauf seid und von übertrieben diensteifrigen holländischen Schwestern versorgt werdet. Schreibt mir doch, sobald Ihr Euch dazu in der Lage fühlt.
Leibniz
 
 
P.S.: Ich ärgere mich so sehr über Newtons mystische Behandlung der Kraft, dass ich derzeit eine neue Disziplin entwickle, die ausschließlich der Untersuchung dieses Themas gewidmet ist. Ich erwäge, sie »Dynamik« zu nennen, was von dem griechischen Wort für Kraft abgeleitet ist – was haltet Ihr von dem Namen? Denn ich beherrsche vielleicht das Griechische vorwärts und rückwärts, aber Ihr habt Geschmack.

Den Haag
    AUGUST 1689
Lieber Doktor,
bei »Dynamik« denke ich nicht nur an Kraft, sondern auch an Dynastien, die, oft im Verborgenen, Kräfte nutzen, um sich selbst zu erhalten – so wie die Sonne Kräfte rätselhafter Art benutzt, um die Planeten dazu zu bewegen, ihr ihre Aufwartung zu machen. Deshalb finde ich, dieser Name klingt gut, zumal da Ihr gerade ein Experte in neuen und alten Dynastien werdet und so geschickt darin seid, große Kräfte einander gegenüberzustellen. Und soweit Worte Namen für Dinge sind und die Namensgebung dem Namensgeber eine Art Macht verleiht, ist es sehr schlau von Euch, Eure Einwände gegen Newtons Arbeit unmittelbar in den Namen Eurer neuen Disziplin einzubauen. Ich möchte Euch nur darauf hinweisen, dass die Grenze zwischen »genial« (was als gute Eigenschaft gilt) und »schlau« (was Argwohn erweckt) genauso verschwommen ist wie heutzutage die meisten Grenzen im Christentum. Engländer reagieren auf Schlauheit besonders misstrauisch, was seltsam ist, weil sie selbst so schlau sind, und sie sind es gewohnt, die Grenze so zu ziehen, dass sämtliche Arbeiten von Newton (oder einem anderen Engländer) im Land namens »Genialität« beheimatet sind, während Ihr in das Land mit Namen »Schlauheit« verbannt werdet. Und um die Engländer muss man sich kümmern, denn sie scheinen sämtliche Landkarten zu zeichnen. Huygens begab sich in die Royal Society, weil er das Gefühl hatte, dies sei der einzige Ort auf der Welt (abgesehen von jedwedem Raum, in dem Ihr Euch zufällig aufhaltet), wo er ein Gespräch führen könnte, ohne sich zu Tode zu langweilen. Und trotz der ständigen Beschimpfungen durch Mr. Hooke will er dort nicht mehr weg.
Ich habe mir Zeit damit gelassen, über mich selbst zu schreiben. Das liegt zum Teil daran, dass das Vorhandensein dieses Briefes an sich schon beweist, dass ich lebe. Es hat aber auch damit zu tun, dass ich mich nur schwer überwinden kann, über das Baby zu schreiben – möge Gott seiner kleinen Seele gnädig sein. Denn mittlerweile ist es bei den Engeln im Himmel.
Nach mehreren Fehlstarts begannen meine Wehen am Abend des 27. Juni, was, wie ich finde, außerordentlich spät war – ich hatte jedenfalls das Gefühl, zwei Jahre lang schwanger gewesen zu sein! Früh am nächsten Morgen platzte meine Fruchtblase, und das Fruchtwasser ergoss sich wie eine Flut durch einen gebrochenen Damm. 62 Nun wurde alles sehr geschäftig im Binnenhof, denn mein Wehen- und Entbindungssystem kam in Gang. Ärzte, Krankenschwestern, Hebammen und Geistliche wurden herbeigerufen, und jede Klatschbase im Umkreis von fünf Meilen hielt sich in höchster Alarmbereitschaft.
Wie Ihr erraten habt, sind die unglaublich öden Beschreibungen von Wehen und Entbindungen, die folgen, nur das Vehikel für diese verschlüsselte Nachricht. Dennoch solltet Ihr sie lesen, da es mich mehrere Entwürfe und eine Gallone Tinte gekostet hat, ein Hundertstel von dem Schmerz, von dem nicht enden wollenden Aufruhr in meinen Eingeweiden, als mein Körper versuchte, sich selbst aufzureißen, inWorte zu fassen. Stellt Euch vor, Ihr schlucktet einen Melonenkern hinunter, spürtet, wie er in Eurem Bauch zur vollen Größe wächst, und versuchtet dann, ihn durch dieselbe kleine Öffnung wieder auszuspucken. Gott sei Dank ist das Baby endlich draußen. Aber betet zu Gott, dass er mir hilft, denn ich liebe es.
Ja, ich sage »liebe«, nicht »liebte«. Im Gegensatz zu dem, was in dem

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