Quicksilver
sich durch seine Mahlzeit (normalerweise etwas Ragoutartiges mit teuren Gewürzen) zu essen, bis er das Muster auf dem Teller erkennen kann. Eine ziemlich idiotische Beschäftigung für einen Fellow der Royal Society, aber er verknüpft damit keinerlei Introspektion, bis er eines Abends auf seinen Teller starrt und zusieht, wie der Fleischsaft mit dem Stampfen des Schiffes hin und her schwappt, und ganz plötzlich ist es
Das Pestjahr
SOMMER 1665
Ein reich gedeckter Tisch nur ist der Erde Antlitz dir,
Mit Menschen, Pflanzen, Tieren, die voll Gier
Anjetzt der schwarze Tod millionenfach verschlingt,
In seinen blut’gen, nimmersatten Rachen zwingt.
John Donne, »Elegie on M Boulstred«
Daniel aß nun schon den fünfunddreißigsten Tag in Folge Kartoffeln mit Hering. Da er das im Hause seines Vaters tat, wurde von ihm erwartet, dass er Gott vor und nach dem Essen für dieses Privileg dankte. Seine Dankgebete fielen mit jedem Tag weniger aufrichtig aus.
Auf der einen Seite des Hauses taten Kühe ihre immer währende Verwirrung kund – auf der anderen trotteten Männer die Straße entlang, die Handglocken läuteten (für diejenigen, die hören konnten), lange rote Stöcke in der Hand hielten (für diejenigen, die sehen konnten) und auf der Suche nach Pestleichen in Höfe und Türen spähten und die Nase über Gartenmauern steckten. Jeder, der genug Geld hatte, um London zu verlassen, war fort. Das galt auch für Daniels Halbbrüder Raleigh und Sterling samt Familien sowie für seine Halbschwester Mayflower, die sich mit ihren Kindern nach Buckinghamshire zurückgezogen hatte. Nur Mayflowers Mann Thomas Ham und Drake Waterhouse, der Patriarch, hatten sich geweigert fortzugehen. Mr. Ham wollte eigentlich, aber er hatte in der Stadt einen Keller, nach dem er sehen musste.
Auf den Gedanken fortzugehen, bloß weil sich der schwarze Tod mal wieder ein bisschen bemerkbar machte, war Drake noch gar nicht gekommen. Seine beiden Frauen waren schon seit geraumer Zeit tot, seine älteren Kinder waren geflohen, und bis auf Daniel war niemand da, der ihn hätte zur Vernunft bringen können. Cambridge war für die Dauer der Seuche geschlossen worden. Daniel hatte sich, so sein ursprüngliches Vorhaben, zu einem kurzen, kühnen Einfall in ein leeres Haus hierher gewagt und Drake vor einem Virginal sitzend angetroffen, wie er Kirchenlieder aus der Zeit des Bürgerkriegs spielte. Seine guten Münzen hatte Daniel größtenteils ausgegeben, erstens, indem er Newton beim Kauf von Prismen ausgeholfen, zweitens, indem er einen widerstrebenden Kutscher bestochen hatte, ihn bis auf Gehweite an dieses Pestloch heranzubringen, und daher war er pleite, solange er Dad kein Geld entlocken konnte – ein Thema, das er sich nicht einmal vorsichtig anzuschneiden traute. Da Gott ohnehin jedes Ereignis vorherbestimmt hatte, gab es für sie kein Entrinnen vor der Pest, wenn sie denn ihr Untergang sein sollte – und wenn nicht, so konnte es nichts schaden, hier am Stadtrand auszuharren und der fliehenden und/oder sterbenden Bevölkerung ein Beispiel zu geben.
Aufgrund der Modifizierungen, die auf Geheiß von Erzbischof Laud an seinem Kopf vorgenommen worden waren, gab Drake Waterhouse merkwürdig gurgelnde und pfeifende Geräusche von sich, wenn er seine Kartoffeln mit Hering kaute und schluckte.
1629 waren Drake und einige seiner Freunde verhaftet worden, weil sie auf den Straßen von London frisch gedruckte Schmähschriften verteilten. Diese Schmähschriften wetterten gegen das Schiffsgeld, eine neue, von Charles I. eingeführte Steuer. Doch das Thema spielte keine Rolle; wäre das Ganze 1628 passiert, hätten sich die Schmähschriften gegen etwas anderes gerichtet und wären für König und Erzbischof nicht weniger kränkend gewesen.
Eine indiskrete Bemerkung, die einer von Drakes Kameraden machte, nachdem man ihm brennende Hölzchen unter die Fingernägel gerammt hatte, führte zur Entdeckung der Druckerpresse, mit der Drake die Schmähschriften hergestellt hatte – er bewahrte sie, unter einem Heuhaufen versteckt, in einem Wagen auf. Da er somit eindeutig als Urheber der Verschwörung feststand, ließ Bischof Laud ihn und ein paar andere, überaus lästige Kalvinisten an den Pranger stellen, brandmarken und verstümmeln. Dabei handelte es sich eigentlich weniger um eine Bestrafung als um eine praktische Maßnahme. Absicht war nicht, die Verbrecher zu bessern, die sich ohnehin nicht bessern ließen. Der Pranger fixierte sie eine Zeit lang in
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