Quipu
Kathedrale.
»Vor allem der Wettlauf zwischen dem heiligen Jerónimo und dem heiligen Sebastián war dieses Jahr spannend«, berichtete sie ihrer Tochter. Und als sie sah, dass Sebastián nichts verstand, erläuterte sie: »Es geht darum, welche Pfarrei ihre Heiligenfiguren zuerst ins Zentrum getragen hat. Natürlich hat San Sebastián gewonnen …« Und als ihr auffiel, dass dies der Name ihres Gastes war, fügte sie, nicht ohne Schalk, hinzu: »Das Fest dauert so lange, dass einige männliche Heiligenstatuen in den Pfarrkirchen bei den weiblichen nächtigen müssen. Und das sorgt natürlich für Gesprächsstoff, und man fragt sich, was sie wohl anstellen, so eng beisammen …«
»Mutter, unser Gast ist müde, und er will bestimmt seine Sachen auspacken und sich frisch machen …«, mischte Umina sich ein, der die Direktheit ihrer Mutter peinlich war.
Denn Uyán spielte auf den Vorfall im Beichtstuhl der Kathedrale |338| von Lima an, über den sie ohne Zweifel von Zúñiga unterrichtet worden war: Don Luis liebte es, solche Geschichten weiterzugeben …
»Also, was willst du wissen?«, fragte sie ihre Mutter deshalb auf Quechua. »Ob ich in Madrid vor Gericht gegangen bin, wie du verlangt hast? Ob ich den Einfluss meines Vaters geltend gemacht habe?«
»Lenk nicht ab. Darüber werden wir uns später noch ausgiebig unterhalten«, unterbrach Uyán sie in ihrer Sprache. »Mich interessiert vielmehr, was zwischen dir und diesem jungen Mann ist.«
»Was soll schon zwischen uns sein? Nichts.«
»Nichts?«, fragte Uyán. »Ihr seid im selben Schiff aus Spanien gekommen, und du setzt dein Leben für ihn aufs Spiel, wohl wissend, dass du dir damit Carvajal zum Feind machst, und du willst mir weismachen, da sei nichts? Nach dem, was ich gerade gesehen habe …«
Sebastián konnte der Unterhaltung zwar nicht folgen, spürte jedoch, dass sie Umina peinlich war, da sie errötete.
»Und zu allem Überfluss habe ich läuten hören, dass ihr in der Kathedrale von Lima eure Kleider getauscht habt.« Uyán ließ nicht locker. »In diesem Sündenpfuhl!«
»Aber es war doch im Beichtstuhl«, seufzte die junge Frau.
»Gütiger Gott, dir ist auch gar nichts mehr heilig!«
»Es ist nicht so, wie du denkst.«
»Doch, es
ist
so, wie ich denke!«, brauste Uyán auf. »Jesus, Maria und Josef! Du bist noch viel schlimmer, als ich dachte. Eigentlich geht man in den Beichtstuhl, um dort seine Sünden zu bekennen. Selbst die Frauen in Lima tun das. Du hingegen begehst sie dort erst!« Sie sah ihre Tochter streng an. Doch plötzlich wurde ihr wieder Sebastiáns Anwesenheit bewusst. »Wir sollten uns jetzt aber um unseren Gast kümmern«,sagte Uyán schuldbewusst. »Der Arme muss sich ja wie ein Trottel vorkommen. Er scheint sehr aufmerksam und wohlerzogen zu sein. Aber täusch dich nicht, mein Kind. Gute Ehemänner sind nicht immer gute Liebhaber. Es gilt auszuwählen im Leben. Mehr sage ich dazu nicht …«
|339| »Wir werden sehen, ob du recht behältst, Mutter. Was für einen wunderbaren Empfang du mir gerade bereitest«, antwortete die junge Frau mit einem Seufzen.
Der Palast verfügte über eine umfangreiche Dienerschaft. Als Sebastián am Abend hinab zum Essen ging, sah er zahlreiche Indios bei den unterschiedlichsten Aufgaben, die nebenbei auch noch ihre eigenen Kinder betreuten. Es herrschte keine Eile, und doch ging alles seinen Gang, und niemand vertrödelte Zeit.
Umina erschien in dem Kleid, das ihre Mutter für sie hatte schneidern lassen. Sebastián erinnerte sich daran, wie er sie im Theater in Madrid in europäischer Abendrobe gesehen hatte. Nun war sie auf indianische Art gekleidet, und dieses Kleid brachte ihr pechschwarzes Haar und die Reinheit ihrer Züge mit den mandelförmigen Augen am besten zur Geltung. Es war sehr schlicht, gefertigt aus weißer Atlasseide mit roten Tupfen und Borten aus geometrischen Mustern, jenen
tocapus,
die bei den Inkaadligen den Insignien eines Königshauses entsprachen. Sebastián fragte sich, wie wohl Uminas Leben in Cuzco aussah. Wie viel musste er doch noch von ihr kennenlernen!
Im Kamin des großen Esszimmers hatte man Feuer entfacht. Auf dem Tisch, der gut und gerne fünfundzwanzig Gästen Platz geboten hätte, lag eine von den Nonnen des Klosters Santa Clara gestickte Decke. Das in silbernen Terrinen servierte Abendessen übertraf bei Weitem den Appetit eines jeden Christenmenschen, ganz gleich, wie hungrig dieser nach der Überquerung von Bergen,
Weitere Kostenlose Bücher