Quipu
der war recht beachtlich: Umina zufolge verschmutzten täglich mindestens zweitausend Reittiere die Stadt, zu denen sich noch die der rund tausend durchfahrenden Händler gesellten.
»Mein Vater stammte aus Lima«, sagte die junge Frau, die glücklich zu sein schien, Sebastián ihre Stadt zeigen zu können. »Meine Mutter hingegen ist eine
cuzqueña
. Trotzdem haben sie sich gut verstanden. Die Bewohner von Lima und Cuzco wollen normalerweise |345| nichts voneinander wissen. Wenn jemand von hier sich hinunter an die Küste begibt, dann wegen irgendeines Prozesses. Und wenn einer aus Lima hier hochkommt, dann wegen eines Geschäfts. Es ist keine einfache Reise. Man muss an diese Höhen gewöhnt sein.«
Sie befanden sich auf der Plaza de Armas.
»Zu Zeiten der Inkas standen hier die Tempel und Paläste der adligen Familien. Hier wurden auch die wichtigsten Feste gefeiert«, erklärte Umina.
Vor ihnen erhob sich die Kathedrale, schwer und massiv. Weitaus eleganter wirkte dagegen die ehemalige Kirche der Jesuiten auf der anderen Seite des Platzes. Nur an wenigen Orten zeigte sich ihre einstige Macht deutlicher als hier. Obwohl die Gesellschaft Jesu als letzter Orden nach Cuzco gekommen war, hatte sie ihre Kirche an einem der besten Plätze der Stadt, über Huayna Cápacs ehemaligem Palast Amaru Cancha, errichten können.
»Es ist ein Jammer, dass die Kirche nach der Vertreibung der Jesuiten in eine Kaserne umgewandelt wurde«, klagte die junge Frau.
Ein Stück weiter machte Umina ihn auf etwas aufmerksam, das die Rolle dieser Stadt als Nabel des Inkareichs verdeutlichte: »Das Zentrum war von zwölf Stadtteilen umgeben. In jedem davon hatten sich Bewohner aus den wichtigsten Gegenden angesiedelt, die im Stadtbild von Cuzco die Position wahren wollten, die ihre Provinz im Reich innehatte.«
»Die Hauptstadt war also eine Art Modell des Reiches?«
»Ja. Und dort stand übrigens der Coricancha«, sagte die Mestizin, als vor ihnen hangabwärts Santo Domingo auftauchte.
»Was bedeutet Coricancha?«
»›Das goldene Gehege‹. Es heißt, die Spanier hätten über fünfhundert Goldplatten herausgerissen, die jeweils zwischen fünf und zwölf Pfund schwer waren.«
Von dieser Pracht war nun nichts mehr zu sehen. Das Kloster zählte nicht zu den vermögendsten der Stadt. Es war zu weit vom Zentrum entfernt, sodass gewichtige Persönlichkeiten seine Kirche |346| nur an besonderen Festtagen besuchten. Seine Gemeinschaft war von einst fünfzig auf ungefähr dreißig Dominikaner zusammengeschrumpft. Und obwohl es noch Novizen gab und auch gelehrt wurde, brachten sie auf dem Gebiet der Philosophie und Theologie kaum noch etwas Neues hervor. Zu ihrem Leidwesen sahen die Mönche sich also gezwungen, eine Pfarrei mit Seelen von weitaus unedlerer Abstammung zu betreuen, als sie es sich gewünscht hätten. Derzeit mussten sie ihnen gar Zutritt zu der im Innenhof sprudelnden Quelle gewähren, die neben der des Krankenhauses über das beste Wasser von ganz Cuzco verfügte. Normalerweise war die Nutzung des noch aus Zeiten der Inkas stammenden Brunnens den Klosterbrüdern vorbehalten, doch da das Krankenhaus sich im Umbau befand, weshalb seine Quelle verschmutzt war, holten Nachbarn und Kranke nun hier ihr Wasser. Uyán hatte es ihnen erzählt, was Sebastián auf die Idee brachte, sich ebenfalls mit einem Wasserschlauch auszurüsten.
Das Dominikanerkloster lag hoch über dem Ufer des Huatanay. Über einigen mit Unkraut überwucherten Terrassen, welches gerade von ein paar Männern mit Sensen gemäht wurde, erstreckte es sich bis hinab zum Fluss. Umina runzelte die Stirn und wies auf eine Stelle, wo große Wachstuchzelte aufgeschlagen waren.
»Das gefällt mir überhaupt nicht. Das scheint ein Lager für die Truppen zu sein.«
Die Klosterkirche war für eine Beerdigung geöffnet. Schnell schlüpfte die Mestizin hinein, damit sie der Pförtner des Klosters nicht sah, den Sebastián um die Erlaubnis bat, im Innenhof des Klosters Wasser zu holen. Während er unter dessen wachsamem Blick seinen Lederschlauch füllte, inspizierte er unauffällig den Brunnen. Er war aus einem einzigen Felsen gehauen, auf dessen Grund er eine Kupferzuleitung entdeckte, die zweifellos zu einem unterirdischen Kanal führte.
Umina, die ihn in der Kirche erwartete, wirkte sehr nervös. Am Hochalter erteilte der Pfarrer gerade den Segen, worauf die Verwandten des Verstorbenen sich zum Leichenzug formierten. Verstohlen machte die Mestizin Sebastián ein
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