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Quipu

Quipu

Titel: Quipu Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: A Vidal
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der Wohlstand des ganzes Reiches ab.
    Danach wurden die Schleusen geöffnet, die die Zisterne mit dem Bewässerungssystem der ganzen Stadt verband, und das sogenannte »Sternenwasser« floss durch den Kanal, den sie gerade durchquert hatten, hinunter zum Sonnentempel, wo es den Brunnen speiste, der nun den Kreuzgang des Klosters Santo Domingo zierte. Auf diese Weise ergoss sich die Himmelsbotschaft über die Hauptstadt, und es vereinten sich die beiden sich gegenseitig spiegelnden Welten, Himmel und Erde, und verbanden
ceques
und
huacas
.
    Und dies mussten sie nun wiederherstellen, jenes breit gefächerte, über das Land ausgebreitete Quipu, dessen Zentrum die Stadt bildete. Je länger in den folgenden Stunden Chimpu die roten Schnüre und Knoten studierte, umso mehr Gewissheit erlangte er über die Art und Weise, wie es geknüpft war. Da sie kurz vor der Juni-Sonnwende standen, mussten sie nur jene Sterne suchen, denen der aus Sírax’ Haar entnommene und nun mit Uminas Haarband in ihr Quipu geknüpfte Weg entsprach. Die zwölf steinernen Strahlen, die die drei Kreise um die Zisterne durchschnitten, ermöglichten Chimpu die Orientierung.
    »Das erste
huaca
«, erklärte der
quipucamayo
schließlich, »ist Qenqo Grande.«
    »Dort ganz in der Nähe hat meine Familie eine Herberge und ein Lager«, rief Umina freudig aus.
    »Stimmt. Qenqo gehörte dem Zweig der königlichen Inkafamilie, von dem ihr abstammt«, sagte er und zeigte hinauf zum Himmel. »Von dort aus müsst ihr euch nach drei Konstellationen der Milchstraße richten: dem Lama, dem Kondor und der Schlange. |383| Die Schlange ist so lang, dass sie mit zwei Knoten abgebildet wird: einem für den Schwanz und einem für den Kopf, genauer gesagt das Auge.«
    »Und wie spiegelt sich das hier auf der Erde wider?«, fragte Sebastián.
    »Die Milchstraße entspricht dem Heiligen Tal, dem mittleren Abschnitt des Flusses Urubamba, wo die Ländereien von Uminas Familie liegen. Die Sternenkonstellation des Lamas steht für den Ort Ollantaytambo, der mit seinen Hängen dieses Tier nachzeichnet, so wie Cuzco den Puma. Von dort aus müsst ihr die Verbindungen zum Kondor und zur Schlange selbst ausfindig machen.«
    »Das heißt also, dass unser erstes Ziel Qenqo Grande sein wird«, sagte Umina.
    »So ist es. Und das zweite Ollantaytambo. Ich kenne dort einen
quipucamayo
. Ich werde euch ein Quipu mit einer Botschaft für ihn mitgeben. Sinchi wird euch helfen, die nächsten Orte zu finden.«
    Es begann hell zu werden über Cuzco. Die Sonne beleuchtete bereits die verschneiten Berggipfel. Die Stille wurde nach und nach vom Zwitschern der
chihuacos
durchbrochen.
    Qaytu deutete hinunter zur Stadt, wo große Truppeneinheiten sämtliche aus Cuzco herausführende Wege und Straßen besetzten.
    »Sie werden auch hier heraufkommen, um alles einzukesseln«, erklärte Umina. »Ich gehe mit Chimpu hinunter in die Stadt und besorge alles Nötige für unsere Reise.«
    »Und wenn du auf Carvajal und Montilla triffst?«, fragte Sebastián besorgt.
    »Dieses Risiko muss ich eingehen. Ich werde versuchen, ihnen aus dem Weg zu gehen. Ich muss meine Mutter beruhigen, mich vergewissern, dass es ihr gut geht, und sie über unsere Pläne unterrichten.«
    »Und was machen wir so lange?«, fragte der Ingenieur.
    »Qaytu kennt sich hier in der Gegend gut aus. Ihr nehmt den Weg durch die Berge zu unserer Herberge, wo auch seine Schwester arbeitet. Es liegt ganz in der Nähe von Qenqo. Dort wartet ihr auf mich.«

|384| Qenqo
    I n dem im Hinterland von Cuzco gelegenen
tambo
, das Reisenden in das Urubamba-Tal Unterkunft bot, wurden Sebastián und Qaytu langsam ungeduldig. Sie saßen an einem Ecktisch, weitab der Pendeltür, und waren wie Indios aus der Gegend gekleidet. Aus der Küche drangen der Duft und das Klappern der Töpfe, mit denen Usca, Qaytus Schwester, hantierte. Draußen, neben dem Weg, reparierte ihr Mann Anco gerade einen Holzzaun.
    Auf einmal hörten sie, wie sich drei Pferde in wildem Galopp der Herberge näherten. Der Ingenieur und der Maultiertreiber blickten sich an. Instinktiv prüfte der Indio, ob er sein Messer zur Hand hatte, während Sebastián nach seiner Pistole tastete.
    Wenig später sprang die Tür auf, und ein spanischer Unteroffizier und zwei Soldaten traten ein, gefolgt von Anco, der sie an einen Tisch begleitete.
    Obgleich die Soldaten höflich gegrüßt und ihre Helme abgenommen hatten, wurden Sebastián und Qaytu unruhig. Ebenso der Schwager, der seiner ältesten

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