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Quipu

Quipu

Titel: Quipu Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: A Vidal
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Mitte des Kamms befand, vernahmen sie ein lautes Knacken. Er bekam gerade noch Sebastiáns und Uminas Hände zu fassen und konnte sich hochziehen, ehe der Übergang mit großem Getöse in die Tiefe stürzte.
    Umina beugte sich vorsichtig über den Rand der Felseninsel.
    »Jetzt sind wir von allen Seiten abgeschnitten«, stellte sie mit Entsetzen fest.
    »Denk jetzt nicht daran«, versuchte Sebastián sie zu beruhigen. »Es wird gleich dunkel. Lass uns Zweige von den Büschen brechen für ein Feuer.«
    Als der Himmel bereits mit Sternen übersät war, die wie Eiszapfen wirkten, begaben sie sich in ihre Felsenhöhle und verschlossen den schmalen Eingang mit Steinen und einer Decke.
    Es war nicht einfach, das Feuer anzufachen. Doch schließlich brannte das Holz. In ihre Decken gehüllt, rückten sie dicht zusammen.
    Umina rief ihnen die Liste der
ceques
und
huacas
in Erinnerung.
    »Wenn
Totorgoaylla
das Sumpfgebiet war, das wir hinter uns gelassen haben, und dieser Gletscher hier die
Qasana
ist, dann |431| fehlen uns nur noch zwei
huacas
bis Vilcabamba:
Pactaguañui,
was ›Vorsicht, der Tod‹, und
Guanipata,
was ›Terrasse der Prüfung‹ bedeutet.«
    Während draußen der Wind heulte, blickten sie sich im Schein der Flammen schweigend an, besorgt darüber, was aus ihnen würde, wenn das Feuer ausginge.
    »Und dabei muss Vilcabamba gleich hinter diesen Bergen liegen! Meine arme Mutter wird nie erfahren, was uns zugestoßen ist«, jammerte die junge Frau.
    »Diese niederträchtigen Lumpen Carvajal und Montilla können nun ungestraft schalten und walten, ohne dass irgendjemand gegen sie vorgeht.«
    »Und falls niemand die Leute aus der Gegend um Vilcabamba gewarnt hat, werden sie sie hinterrücks überfallen und ein schlimmes Blutbad anrichten. Und haben sie erst den Schatz in ihre Gewalt gebracht, werden sie großen Schaden verursachen.«
    »Wie schade, dass er so viele Jahrhunderte lang sicher verwahrt war und nun ausgerechnet ihnen in die Hände fällt.«
    »Erbittert es dich nicht, so viele Mühen auf dich genommen zu haben, um am Schluss so knapp zu scheitern?«, fragte sie ihn.
    »Nun ja, es hatte auch sein Gutes   … Auf diese Weise haben wir uns kennengelernt. Auch wenn ich mir ein besseres Ende gewünscht habe, als im Schnee zu erfrieren.«
    »Was für eines?«
    »Ich weiß nicht   … Als ich jung war, stellte ich mir etwas Glorreicheres vor. Zumindest aber einen schnelleren Tod.«
    »Wir werden es überleben. Ich habe den Obsidianspiegel und du das rote Quipu. Die zwei Talismane werden uns Glück bringen.«
    Umina hatte ihr Gesicht an Sebastiáns geschmiegt, damit beide auf der dunklen, polierten Oberfläche des Spiegels Platz fänden. Sie sahen sich darin wie zwei Bewohner einer alten Welt gespiegelt, um eine ungewisse Gegenwart zu erleben.
    »Was mir am meisten leidtut, ist, dass ich dich erst jetzt kennengelernt habe«, sagte er. »Als ich mit dir in Yucay war, malte ich mir ein gemeinsames Leben mit dir aus. Es gefiel mir   …«
    |432| »Sprich weiter, hör nicht auf«, bat sie ihn.
    Er war selbst verwundert, sich diese Worte aussprechen zu hören. Zumal in Anwesenheit von Qaytu. Deshalb deutete er nun diskret auf ihn.
    Der Indio zuckte lächelnd die Achseln und hielt dem Ingenieur dann den Trinkschlauch mit dem Branntwein hin.
    »Der Branntwein ist für den Fall, dass du dir noch ein bisschen Mut antrinken musst«, übersetzte Umina lächelnd. »Wie die Soldaten, die ihn vor einem Kampf verabreicht bekommen.«
    Dann kramte der Maultiertreiber in seinen Taschen und brachte ein paar Brocken Zwieback zum Vorschein.
    »Langsam, ihr müsst langsam kauen«, empfahl der Ingenieur. »Hermógenes, der Zimmermann der ›África‹, erzählte mir einmal, dass sie, als sie einmal kaum noch etwas zu essen hatten, jedem nur einen Zwieback pro Tag zuteilten. Mittags zogen die Seeleute ihn auf ein Zeichen hin heraus, lutschten daran und steckten ihn wieder weg. Erst zum Abendessen aßen sie ihn auf. So konnten sie überleben.«
    Sie lachten alle drei. In mehreren Runden leerten sie den Inhalt des Branntweinschlauches, der ihnen ein wenig Wärme und Trost spendete.
    Bald danach übermannte sie der Schlaf, und Sebastián hatte, vielleicht infolge der ganzen Eindrücke, vielleicht auch wegen des Alkohols oder der körperlichen Nähe zu der Mestizin, einen merkwürdigen Traum.
    Darin sah er einen großen Stein, ähnlich dem von Ñusta Hispana. Auf ihm saß Umina. Unter ihrem Rock schienen eine Menge steinerner Figuren

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