Quipu
spitzesten Vorsprünge sich in seinen Rücken bohrten. Als er im Mittelteil des Stollens angelangt war, dort, wo dieser eine Biegung machte, war die Dunkelheit vollkommen. Er betete, dass die Pumas ihn nicht gewittert hatten.
Sein Atem stockte, als er auf einmal einen Lichtschimmer sah und die schmale Öffnung sich erweiterte, bis er sich schließlich sogar aufrichten konnte.
Am meisten überraschte ihn das Licht in der Höhle. Er blickte nach oben und sah, dass es aus einer breiten Spalte in der Decke herabfiel. Von den Pumas fehlte jede Spur.
»Ihr könnt kommen, der Weg ist frei!«, rief er in den Stollen hinein.
Als Umina und Qaytu auftauchten, sagte er, nach oben zeigend: »Diese Spalte und der Luftzug deuten darauf hin, dass es weitere
Ausgänge gibt. Wir müssen das Licht nutzen, um sie zu suchen.«
Es war eine lange, mühsame Kletterei. Sie stiegen in Richtung des Lichts und der immer kälter werdenden Luft. Anfangs tat ihnen die Kälte noch gut, doch bald schon wurde es richtig frostig.
Als sie schließlich ins Freie kamen, fanden sie sich am Rand eines dicken Eisfelds wieder.
»Das muss die
Qasana,
der ›Ort des Eises‹, sein, der in der Liste der
ceques
und
huacas
vorkam«, sagte Umina.
Vor ihren Augen bot sich der weite, bläuliche Gletscher dar, der sich von zwei Berggipfeln herab gen Tal erstreckte, eine raue, herausgestreckte Zunge.
Ehe sie sich an den Abstieg machten, bat Qaytu sie mit Gesten, dieselben Vorkehrungen wie er zu treffen. Er riss einen schmalen Streifen von seiner Decke ab und wickelte ihn um seine Stiefel, um die Füße vor der Kälte zu schützen. Anschließend brach er ein paar Knospen von einem Gestrüpp, dem Chachacoma-Strauch, |429| ab, drückte das Harz heraus und rieb ihnen damit Gesicht und Hände ein.
Vorsichtig machten sie sich an den Abstieg. Auf einmal vernahmen sie ein dumpfes Grollen, das wie eine schwere unterirdische Explosion klang.
»Was war das?«, fragte Sebastián erschrocken.
»Ich würde sagen, ein Kanonendonner«, erwiderte Umina.
»Kanonen? Hier? Das kann nicht sein.«
Qaytu winkte ihnen verzweifelt, nicht stehenzubleiben, sondern weiterzumarschieren. Nach einer guten Weile hörten sie erneut ein Donnern, das aus dem Boden zu kommen schien. Diesmal jedoch näher, viel näher.
Der eisige Grund unter ihren Füßen begann zu beben, und plötzlich tat sich mit einem ohrenbetäubenden Krachen eine Erdspalte vor ihnen auf. Nun wussten sie, woher diese Explosionen kamen. Und auch um die Gefahr, die diese unmerklich abwärts gleitenden Eismassen in sich bargen.
Sie versuchten, sich in der Mitte der türkisblauen Gletscherzunge zu halten. Dunkle Wolken schoben sich vor das gleißende Sonnenlicht. Es begann zu schneien. In heftigen Böen fegte ein Schneeschauer über die Eiswüste hinweg. Ein Innehalten hätte bedeutet, selbst zu einem Eiszapfen, zu einem schneebedeckten Hügel zu werden. Die dünne Höhenluft erschwerte ihnen das Atmen, und in den müden Beinen bekamen sie Krämpfe. Qaytu steckte ihnen ein paar Kokablätter zu, die ihnen helfen sollten, die Müdigkeit zu überwinden.
Je mehr der Tag sich dem Ende zuneigte, umso stärker glitzerten die wie Edelsteine anmutenden Eisschollen, an deren Kanten sich die Sonnenstrahlen brachen, und ihre Farbe wandelte sich von einem tiefen Blau zu einem kalten Dunkelviolett. Und als der Nebel sich herabsenkte, war es ihnen, als narre die Natur sie mit Ruinen, Pyramiden und Hünengräbern, Kapitellen und Eiskathedralen, Kuppeln und Minaretten, einer ganzen Parade von Trugbildern. Der Pfad verlor sich im Schnee, und alles mutete auf einmal unwirklich an, trübte ihren Sinn für die Entfernung. |430| Es wurde immer kälter und düsterer. Man sah kaum noch etwas.
Qaytu bedeutete ihnen, ihm zum Rand des Gletschers zu folgen.
»Er hat recht«, sagte Sebastián zu Umina. »Wir dürfen keinen Fehltritt riskieren. Wir müssen einen Unterschlupf finden, ehe es völlig dunkel ist.«
Sie stapften quer über die Eiszunge zu einigen Felsen an ihrem Rand, wo auch ein paar Büsche standen. Eine tiefe Gletscherspalte tat sich davor auf, und der Übergang war nur über einen vereisten Kamm möglich, welcher eine Art Brücke über den tiefen Abgrund bildete.
Als Erste balancierte Umina hinüber, die am leichtesten war. Sebastián und Qaytu stritten sich eine Weile, bis der Maultiertreiber Sebastián schließlich davon überzeugt hatte, dass er seines Gewichtes wegen als Letzter gehen sollte. Als Qaytu sich gerade auf der
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