Quipu
wollen, fielen riesige Steinblöcke herab, die sie unweigerlich erschlagen hätten.
»Ich glaube, diese Höhle ist das
huaca,
das ›Vorsicht, der Tod!‹ heißt«, erklärte Sebastián. »Erinnert ihr euch an die Chronik? Diego de Acuña schrieb dort, dass Felsbrocken mittels Stricken mit den Baumstämmen verbunden sind, die den Eingang der Höhle versperren. Bewegt jemand sie, fallen die Steine auf den Pfad.«
»Dann ist das einer der Zugänge zu Vilcabamba!«, antwortete die junge Frau. »Die Bergfeste ist also noch immer gut gesichert. Möglicherweise ist sie sogar noch bewohnt.«
Zwischen den Steinbrocken hindurch gelangten sie in einen schmalen Gang, der die Form eines Halbmondes hatte, was mit der Beschreibung in der Chronik übereinstimmte, ebenso wie die über zweihundert Schritte hohe, mit Zinnen und Türmen versehene Mauer zu beiden Seiten. Es lag ein starker Verwesungsgeruch in der Luft. Nach der soeben niedergegangenen Steinlawine entdeckten sie eine frühere, die vor nicht allzu langer Zeit rund zwanzig Männer unter sich begraben hatte. Ihrer Kleidung und Bewaffnung nach schienen es Spanier zu sein.
|436| »Weder Carvajal noch Montilla sind dabei«, bemerkte der Ingenieur. »Aber diese Leute müssen zu ihrer Truppe gehört haben. Sie sind in die Falle gegangen, als sie in die Höhle hineinwollten.«
»Wir müssen sehr wachsam sein. Ab jetzt können uns sowohl Carvajals Männer als auch die hier ansässigen Indios angreifen.«
Nach diesem Engpass fiel der Weg steil in eine Schlucht ab, durch die ein Wildbach floss. Sie befanden sich nun wieder in einer gemäßigteren Gegend, mit gepflegten, auf Terrassen verschiedenster Höhe angelegten Anbauflächen.
»Endlich etwas zum Essen. Was sind das für Pflanzen?«, fragte Sebastián.
»Kartoffeln«, antwortete Umina.
»Das alles sind Kartoffeln?«, wunderte sich der Ingenieur.
»Es gibt hier unzählige Kartoffelsorten. Es gibt Dörfer und Familien, die ihre ureigene Sorte wie einen Schatz hüten.«
»Warum?«
»Sie setzen fünf oder sechs verschiedene Sorten. Wenn es sehr kalt wird, gehen immer ein paar davon ein. Andere jedoch überstehen den Frost, weil diese Pflanzen in der Nacht ihre Blätter schließen. Wenn es jedoch zu heiß wird, verfaulen genau diese Pflanzen, während den anderen die Hitze nichts ausmacht. Deshalb ist es wichtig, dass ein Dorf verwandtschaftliche Beziehungen mit Bewohnern anderer Höhen- und Klimagebiete unterhält, damit stets irgendein Anbauprodukt überlebt und sie sich gegenseitig helfen können, selbst wenn das Jahr noch so schlecht ist.«
»Die Kartoffeln deuten also darauf hin, dass hier Menschen wohnen«, sagte Sebastián. »Unser nächstes
huaca
ist
Guanipata,
die ›Terrasse der Prüfung‹. Das klingt nicht gerade beruhigend.«
Nachdem sie sich etwas ausgeruht hatten, machten sie sich erneut auf den Weg und entdeckten schon bald am Fuße eines Hügels die ersten uralten Ruinen. Ungeduldig beschleunigten sie ihre Schritte. Als sie den Hügel erklommen hatten, tat sich vor ihren Augen ein Wald auf, der mit Terrassen und Kanälen überzogen war.
»Endlich! Vilcabamba!«, rief Umina aus.
|437| Vor ihnen lag sie, jene letzte Stadt, die die Inkas im verzweifelten Kampf um ihr Überleben und ihre Freiheit errichtet hatten.
»Ich hatte mir Vilcabamba ganz anders vorgestellt«, murmelte Sebastián.
Was sie vor sich hatten, war nichts weiter als ein Stück Land, das die Natur sich zurückerobert und erneut in Urwald verwandelt hatte.
Dennoch gemahnte sie Qaytu durch Gesten, wachsam zu sein und jedes Geräusch zu vermeiden.
An den Außenwällen waren noch ein paar Reihen rechteckiger Granitblöcke erhalten geblieben. Eine steile Rampe führte zu den Mauern, Türmen und Verteidigungsbollwerken empor. Andere Gebäude hatten offensichtlich als Kaserne gedient. Als sie den ersten Verteidigungswall überwunden hatten, eröffnete sich vor ihren Augen der Stadtkern, der sich über einen Felsvorsprung erstreckte.
Umina war überwältigt. »Wie lange habe ich auf diesen Augenblick gewartet!«, rief sie und lief wie entrückt umher.
»Entferne dich nicht zu weit von uns«, bat Sebastián. »Eine Falle ist leicht gestellt.«
Dennoch fanden sie auch nach einer gründlichen Untersuchung des Geländes kein Anzeichen für menschliches Leben.
»Hier ist niemand«, sagte Umina schließlich.
»Genau das beunruhigt mich am meisten.«
Das Land war in Terrassen angelegt, die sich bis hinunter zum Fluss erstreckten, der aus den
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