Quipu
konnte.
Blind vor Wut ging Carvajal auf den Ingenieur los. Doch genau darin sah Sebastián seinen größten Trumpf. Er hielt den ersten Angriffen stand und gewann nach und nach die Oberhand, bis er Carvajal an den Rand der Plattform gedrängt hatte, unter der der Abgrund klaffte.
Sie kämpften Körper an Körper, Gesicht an Gesicht, in dem verzweifelten Bemühen, den anderen in die Tiefe zu stürzen. Da vernahm Sebastián Uminas Schrei:
|446| »Vorsicht, er zieht eine Pistole!«
Carvajal hatte mit der Hand nach hinten an seinen Gürtel gefasst und zielte nun mit einer Waffe auf Sebastiáns Herz. Sie standen so dicht beisammen, dass er ihn unmöglich verfehlen konnte.
Schon spürte Sebastián das Geschoss in seine Brust dringen, dann wie sich Hitze in ihm ausbreitete, und schließlich das Blut, das heraussprudelte, als er in die Knie ging.
Danach nahm er alles nur noch verschwommen wahr, als verginge die Zeit immer langsamer, als erreichten die Worte ihn nur noch wie ein Echo. Er hatte Uminas Schrei gehört. Dann den von Carvajal. Letzteren verstand er nicht recht, bis er begriff, dass er Qaytu verfluchte.
Denn der schwer verletzte Maultiertreiber hatte sich genau in dem Augenblick, in dem Carvajal abdrückte, auf dessen Füße geworfen, wodurch dieser strauchelte und sein Ziel verfehlte. Carvajal hatte Qaytu abzuschütteln versucht und ihm einen Fußtritt verpasst, der diesen zurückschleuderte, genau zum Rand des Abgrunds, wo er verzweifelt nach Halt suchte. Dabei verlor Carvajal jedoch selbst das Gleichgewicht und stürzte rückwärts auf den spitzen goldenen Stab der Sonnenuhr, mit der die
intihuatana
die Stunden maß. Man hörte, wie das Metall dumpf das Fleisch durchstieß, Carvajal entfuhr ein Todesschrei. Aufgespießt, die Brust aufgerissen, blieb er auf der Sonnenuhr liegen, während das Blut von dem goldenen Stab tropfte.
Im selben Augenblick hörte Sebastián Uminas Aufschrei.
»Qaytu! Neiiiiiiiin!«
Die junge Frau hatte sich auf den Boden geworfen und war auf den Rand des Abgrunds zugekrochen. Im selben Moment, da sie Qaytus Hand zu packen versuchte, bröckelte der Fels, an dem sich der Maultiertreiber mit letzter Kraft festgehalten hatte, und er stürzte in den Abgrund. Man hörte, wie er auf den Felsen aufschlug, weiter hinabfiel, bis das schäumende Wasser in der Tiefe ihn verschlang.
Mit letzter Kraft kroch der Ingenieur zu Umina und zog sie von dem gefährlichen Abgrund fort.
|447| »Es tut mir so leid.« Er nahm sie fest in den Arm
Umina weinte lange Zeit. Trotz ihres tränenverschleierten Blicks erkannte sie das Ausmaß der Wunde, die Sebastián unterhalb der linken Schulter hatte.
»Du verlierst Blut«, schluchzte sie auf.
Die Indios hatten dem dramatischen Duell aus einiger Entfernung zugesehen. Ihre Haltung zu den Gefangenen hatte sich inzwischen völlig gewandelt. Während die Dorfbewohner Carvajals und Montillas Leichen fortschafften, half der Stammesführer der Mestizin höchstpersönlich, Sebastiáns Wunde zu versorgen. Dann deutete er auf die Sonne, die im Begriff war, hinter dem höchsten Gipfel unterzugehen.
»Sinca!«
»Er spricht von einer Nase«, übersetzte Umina mit tränenerstickter Stimme. »Was spielt das jetzt für eine Rolle!«
Der Dorfoberste schien jedoch anderer Meinung zu sein und zeigte zusammen mit dem Priester auf die Verbindung zwischen dem
intihuatana
und dem Hügel, dem letzten
huaca
ihres Weges. Seinen Worten nach zu urteilen, war der Augenblick gekommen, da das Auge des Inkas aufleuchten würde.
Aus unerfindlichen Gründen strahlte die Sonne mit einem Mal aus einer Spalte heraus, die sich auf halber Höhe jener im Gegenlicht daliegenden Bergkette befand. Sie schmerzte in den Augen. Umina bat um ihren Obsidianspiegel und reichte ihn Sebastián, damit er das Schauspiel über den Spiegel betrachte.
Und was sie sahen, erfüllte sie mit Erstaunen.
Als sie den Spiegel auf das Auge des Inkas und den nasenförmigen Gipfel des Sinca richteten, erschien vor ihnen der Umriss eines Gesichts: Der sich gegen die Sonne abzeichnende Berg und die Schatten, die er in ebendiesem Augenblick warf, zeichneten ein menschliches Profil!
»Unglaublich! Dieser Berg ist dein getreues Abbild!«, rief Umina fassungslos. »Darum haben dich alle immer so sonderbar angesehen!«
|448| Punchao
D er Berghang war dicht bewachsen. Die Einheimischen führten sie über gewundene Pfade zu einer Terrasse, auf der ein riesiger Baum wuchs. Die untergehende Sonne schien auf wundersame
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