Quipu
Inkaprinzessin, in der erzählt wurde, wie Quispi Quipu ihrer Tochter Sírax nahegelegt hatte, dasselbe zu tun wie sie: Sie sollte mit ihrem Bruder insgeheim ein Kind zeugen und so die Rechtmäßigkeit in der Abstammungslinie wahren.
»Deswegen musste sie sich also zunächst der Jungfräulichkeitsprüfung in Qenqo Grande unterziehen«, sagte Umina. »Insbesondere nach dem Zwischenfall mit den spanischen Soldaten in Cuzco.«
Anschließend brachte man sie über Ollantaytambo zum heiligen Nest des Kondors, wo sie vollständig in die Traditionen ihrer Vorfahren eingeweiht wurde. Dort, an jenem Ort, den die Eroberer niemals entdeckten, besuchte Túpac Amaru sie von seinem Zufluchtsort Vilcabamba aus. Und als man glaubte, dass sie schwanger war, wurde an dem Weißen Stein und in Ñusta Hispana der Fruchtbarkeitsritus vollzogen.
»Das heißt, bis dahin verlief alles wie geplant«, sagte Umina. »So, wie wir es uns zusammengereimt haben. Aber lies weiter.«
Dann nahmen die Dinge jedoch einen anderen Lauf. In Wahrheit, hieß es in dem Dokument, sei Sírax nämlich noch gar nicht schwanger gewesen. Denn weder sie noch Túpac Amaru hätten sich diesem Plan ihrer Vorfahren unterworfen, mit der Begründung, dass sie noch nicht die Erlaubnis seitens der Mumie seines Vaters und ihrer Mutter hätten, die für diese Verbindung erforderlich war. In Wirklichkeit war es aber wohl so, dass ihre Zuneigung jemand anderem galt. Im Falle des Inkas seiner Frau, die kurz davorstand, ihm ein Kind zu schenken. Und so kam es, dass Sírax nicht von ihrem Bruder Túpac Amaru schwanger wurde, wie die Verfechter des Plans der Inkas vielleicht glaubten und hofften, sondern von …
»Diego de Acuña!«, rief Sebastián.
»Das erklärt einiges«, meinte Umina nachdenklich. »Sírax wusste, dass sie verloren wären, sobald dieses Kind zur Welt käme. Man hätte sie alle drei getötet, sie, das Kind und Diego.«
|454| »Und deshalb erzählte sie nach Túpac Amarus Hinrichtung alles Cristóbal de Fonseca. Als sie sah, dass Acuña sterben würde«, schlussfolgerte Sebastián.
In der Zwischenzeit hatte der Vizekönig Francisco Alvárez de Toledo den Jesuiten eine äußerst vertrauliche Mission übertragen. Es ging um den Punchao, jenen von den Spaniern am heftigsten begehrten Schatz. Da die Inkakönige nun alle tot und ihre Mumien zerstört waren, bildete der von den Inkas am stärksten verehrte Götze das einzige Zeugnis, dass die Inkas einst ein freies und unabhängiges Volk gewesen waren. Der eigenbrötlerische Vizekönig wusste wohl um die Risiken, die eine Hinrichtung ihres letzten Herrschers in sich barg. Daher wollte er Philipp II. etwas zukommen lassen, das dieses eigenmächtige Handeln rechtfertigte und den König im Mutterland milde stimmte. Er würde ihm diesen Götzen schicken und ihn als das passende Geschenk für den Papst vorschlagen. Der spanische Monarch könnte so seine Beziehung zum Pontifex Maximus verbessern und dadurch seinen Einfluss bei der strittigen Aufteilung Amerikas stärken. Denn mittels jenes bedeutenden Götzen des mächtigsten Reiches des neuen Kontinents legte er Seiner Heiligkeit in gewisser Weise die Asche der Herzen aller Inkas zu Füßen.
So kam es zu Fonsecas Reise nach Spanien 1573. Da Fonseca Sírax mitnehmen wollte, suchte er seine eigenen Trümpfe auszuspielen und auf die Netze der Gesellschaft Jesu zurückzugreifen. Doch Sírax war wild entschlossen, die Gelegenheit für sich zu nutzen. Ihre erste, für den Jesuiten am schwersten zu erfüllende Bedingung war, dass der Punchao im Lande bliebe. Waren doch Túpac Amarus wiederholte Anspielungen auf den Götzen während seiner Rede auf dem Schafott, kurz vor seiner Hinrichtung, zu einer Art Losung geworden. Sie beruhigte Fonseca damit, dass die Tage des Vizekönigs de Toledo gezählt waren: Die Berichte über den Vorfall waren bereits nach Spanien unterwegs, und Túpac Amarus Hinrichtung würde ihn teuer zu stehen kommen. Und es gäbe auch keinerlei Beweise für die um jeden Preis geheim gehaltene Mission.
|455| Sírax’ zweite Bedingung war, dass sie Diego de Acuñas Chronik mitnehmen dürfe, als Beweismittel, das zu gegebener Zeit eingesetzt werden konnte. Und die dritte war, dass – ganz gleich, welches Schicksal ihr widerführe – ihr Leichnam in Cuzco im Sonnentempel bestattet würde. Zur Gewährleistung dieser letzten Bedingung sollte ihre Dienerin Sulca sie auf der Reise begleiten.
Und so geschah es. Auf dem Weg nach Lima kam es zu einem
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