Quipu
Absperrung schoben nun nur noch zwei Mann Wache, sodass sie ein Stück weiter ungesehen über die Palisaden klettern konnten.
Auf der anderen Seite des Zauns bedeutete Paco Sebastián, ihm in eine der Lagerhallen zu folgen. Drinnen brannte eine Lampe auf einem Schreibtisch, doch es war niemand zu sehen. Während der Ingenieur achtgab, dass sie nicht überrascht wurden, wühlte Paco stumm in den Papierstapeln, bis er triumphierend ein paar Blätter hervorzog.
»Hier sind die Klarierungspapiere des Schiffes, mit dem Hermógenes fahren soll!«
Unter dem Vermerk »Streng vertraulich« war zu lesen, dass das Schiff in aller Eile verproviantiert werden sollte.
»Auf dem Bogen steht kein Bestimmungsort. Das ist eine geheime Mission«, flüsterte Sebastián mit kaum hörbarer Stimme.
Zahlreiche andere Details fehlten ebenfalls, die bei Schiffspapieren eigentlich Vorschrift gewesen wären. Doch Pacos geschultes Auge war so leicht nicht zu täuschen. An der Ausrüstung und anderen Kleinigkeiten erkannte er, dass es sich um einen Zweidecker mit vierundsiebzig Kanonen handeln musste.
»Ein ganz ordentliches Schiff ist das, das man da klar zum Ablegen macht, Señor. Dafür bedarf es mindestens sechshundert Mann Besatzung.«
Dann überprüfte der Seiler den gesamten Proviant sowie die Wasser-, Wein-, Öl- und Essigfässer.
»Mit diesen Vorräten brauchen sie mindestens vier Monate lang nicht anzulegen. Das reicht für eine Ozeanüberquerung.«
»Dann segeln sie also nach Amerika?«, fragte Sebastián.
»Ich würde sagen, ja. So lange braucht man jedenfalls nach Panama.«
Nachdem sie sich vergewissert hatten, dass die Luft rein war, verließen sie die Lagerhalle und pirschten sich vorsichtig an das Schiff heran, dessen imposante Silhouette sich gegen den fast schon schwarzen Nachthimmel abzeichnete. Von einer Ladung |112| huschten sie zur nächsten, bis sie den Namen des Schiffs lesen konnten, »África«. Die Handwerker hatten ihr Tagewerk schon lange beendet, doch an Deck und an der Mole arbeitete man noch fleißig.
»Sie werden bald die Anker lichten, Señor«, flüsterte Paco. »Sehen Sie, sie verladen schon das Reisegepäck.«
Sebastián holte den kleinen Feldstecher heraus, den er stets in der Hosentasche bei sich trug, und inspizierte den Haufen Gepäckstücke, der gerade auf Paletten gepackt wurde, um mit dem Spill in den Schiffsbauch verfrachtet zu werden. Einer der Stauer überprüfte, ob die Taue auch gut festgezurrt waren. Im Schein seiner Laterne konnte Sebastián verschiedene Truhen mit dem Wappen der Montillas erkennen. War das das Schiff für Montillas Expedition? Er wollte den Feldstecher schon senken, da entdeckte er auf einer Truhe auf einmal ein zusammengerolltes grünes Cape. Der Mörder seines Vaters!
In diesem Moment fielen ihm Boncalcios Worte wieder ein, mit denen er ihn in die Verbannung geschickt hatte:
Denk daran, du dienst dem Staat. Und wir haben unsere guten Gründe, so zu handeln.
Nein, er würde sich nicht wie ein Lamm, das zur Schlachtbank geführt wird, in sein Schicksal ergeben. Er würde dem Geheimnis der Chronik und dieses rätselhaften Quipus auf die Spur kommen! Seinen Vater konnte er nicht wieder lebendig machen, aber er würde den Drahtzieher des Ganzen zur Rechenschaft ziehen!
»Paco, schafft es dieses Schiff bei den derzeitigen Windverhältnissen hinaus aufs offene Meer?«
»Auf jeden Fall. Hier in der Bucht kann man den Anker bei fast jedem Wind lichten. Nur ein Sturm aus nordwestlicher Richtung könnte das verhindern. Aber das steht nicht zu befürchten.«
»Dann sollte ich mich am besten gleich jetzt aufs Schiff schmuggeln.«
»Aber Señor, das ist verrückt!«
»Meinst du, es ist vernünftiger, mich auf die Kanaren verschiffen zu lassen, während der Mörder meines Vaters mit diesem Schiff flieht? … Was ist? Hilfst du mir?«
|113| Das Tauwerk befand sich bereits dicht am Ladeplatz. Vorsichtig schlichen sie sich zur letzten Palette, wo Paco Sebastián mit Tauen zudeckte, bis nichts mehr von ihm zu sehen war. Als der Seiler sich leise verabschiedete, drückte ihm Sebastián schnell noch den Beutel mit den Münzen in die Hand.
»Gib das Lucía. Niemand hat dafür bessere Verwendung als sie.«
»Aber, Señor, dann … dann bleibt Ihnen ja gar nichts mehr … Das können wir nicht annehmen!«
»Ihr habt es im Schweiße eures Angesichts verdient … Und jetzt verschwinde, sie kommen.«
Zehn Minuten später strafften sich die Seile, und die Holzpalette
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