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Quipu

Quipu

Titel: Quipu Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: A Vidal
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mit Sebastián wurde vom Spill langsam nach oben gezogen, wo die Ladung einen kurzen Moment über dem Oberdeck schwebte, bevor die Stauer sie mit Haken zur Hauptluke neben dem Großmast zerrten. Zwischen den Tauen versteckt, versuchte Sebastián das Gleichgewicht zu halten, während sich die Palette auf ein Zeichen hin wieder abwärtsbewegte, das zweite Deck passierte, dann das erste und schließlich das Unterdeck auf Höhe der Wasserlinie, bis sie im Laderaum, in den tiefsten Eingeweiden des Schiffes auf dem Podest für das Tauwerk polternd aufsetzte.

|115| ZWEITER TEIL
TRAUM OHNE ERINNERUNG
    |117| Die junge Indiofrau
    D rei Kanonenschüsse weckten ihn. An Deck bereiteten die Matrosen emsig alles vor zum Ankerlichten. Begleitet von durchdringenden Pfiffen wurde schließlich der Befehl zum Segelsetzen gegeben. Als das Schiff in See stach, knarrte der Rumpf und die Masten knirschten. Die Toppsegel wie auch die übrigen Segel nahmen immer mehr Wind auf, bis die ganze Takelage wie ein ordentlich gestimmtes Instrument zu summen schien. Die »África« nahm Kurs aufs offene Meer.
    Bevor die Luken geschlossen worden waren,hatte Sebastián kurz sein Versteck verlassen und sich eine Laterne besorgen können,die er nun anzündete, um den dunklen Laderaum zu erforschen. Modergeruch schlug ihm von der Bilge entgegen, dem von Ratten bevölkerten Kielraum, in dem sich Leckwasser, Schmutzwasser von den Decks und Fäkalien sammelten. Als Erstes inspizierte er die Aufgänge,wo er von der Besatzung überrascht werden konnte. Im hinteren Teil des Schiffes, direkt neben dem Besanmast, befand sich die Treppe hoch zum Heck. Sie wurde am stärksten bewacht, da sie zur Pulverkammer führte. Weiter vorn, in Richtung Bug, stieß er neben dem Großmast auf die zweiläufige Haupttreppe: Eine führte in die Speisekammer, die wohl hauptsächlich vom Koch und seinen Küchenjungen benutzt würde, über die andere vor dem Bretterverschlag für die Taue und den Anker würden aber bestimmt nicht viele Matrosen herabsteigen. Dort beschloss er sich zu verstecken, nachdem er festgestellt hatte, dass sich ganz vorn im Bug der Aufgang zur Kombüse befinden musste, da von dort verführerische Düfte herunterwehten.
    |118| Nun musste er sich nur noch um seine Verpflegung kümmern. Bei seinem Erkundungsgang hatte er in der Pantry Fässer mit gepökeltem Fleisch und Stockfisch, Hülsen- und Trockenfrüchten entdeckt, mit Oliven, Käse, Rosinen   … Es fehlte an nichts, und alle waren gewissenhaft durchnummeriert. Damit sein Diebstahl nicht auffiel, würde er sich allerdings an die Fässer halten müssen, die die Speisemeister schon geöffnet hatten. Er nahm also ein wenig hiervon, ein wenig davon und brachte alles zu seinem Versteck hinter den Tauen.
    Die ersten, nicht unerheblichen Sorgen waren damit aus dem Weg geräumt. Bis auf frische Luft und Sonnenlicht hatte er alles, was er zum Überleben brauchte, und zudem einen einigermaßen sicheren Schlupfwinkel, von wo aus er jeden, der in den Laderaum hinabstieg, im Auge behalten konnte. Er durfte nur nicht entdeckt werden, bevor sie die Kanarischen Inseln passiert hatten, sonst lief er Gefahr, dass man ihn zu seinem Verbannungsort brachte oder einem anderen Schiff mit diesem Ziel übergab. In den folgenden Tagen würde er also alle Zeit der Welt haben, sich ganz der Chronik zu widmen,die den Schlüssel zu den schrecklichen Morden bergen musste. Er holte die in Leder gebundene Handschrift aus dem Wachstuchbeutel unter seinem Wams und schlug sie auf. Heraus fielen die Blätter,auf denen sein Vater die Vorgeschichte zu Diego de Acuñas Aufzeichnungen zusammengefasst hatte. Sebastián zog die Laterne näher heran und begann zu lesen.
     
    »Mein lieber Sebastián,
    viele Jahre habe ich mich mit dieser Chronik beschäftigt, die auf mysteriösem Weg in den Besitz unserer Familie gelangt ist. Noch entzieht sich meiner Kenntnis, was es mit diesem seltsamen Quipu auf sich hat, das der Schlüssel zu einem großen Geheimnis sein muss, welches eng mit dem Schicksal der Fonsecas verknüpft ist. Obwohl ich es geheim gehalten habe, mehren sich in letzter Zeit die Anzeichen, dass auch jemand anderes darum weiß. Jemand, der uns Fonsecas nicht wohlgesinnt ist. Gebe Gott, dass ich Dir meine Erkenntnisse |119| bei Deiner Rückkehr aus Zaragoza persönlich schildern kann. Doch sollte mir etwas zustoßen   …
    Ich beginne am besten mit Huayna Cápac, dem elften Inkaherrscher, der 1493 an die Macht kam. Unter seiner Führung

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