Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Quipu

Quipu

Titel: Quipu Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: A Vidal
Vom Netzwerk:
gelangte das Inkareich zur vollen Blüte. Alles in Tawantinsuyu, dem »Reich der vier Weltgegenden«, wie man es in ihrer Sprache nannte, war gut organisiert, man verfügte über ein großartiges Wegenetz, und es gab keine Hungersnöte mehr, hatten seine Untertanen an den steilen Hängen der Anden doch unzählige Terrassen angelegt und mit langen Bewässerungskanälen Hochtäler zu fruchtbaren Gegenden gemacht.
    Eines Tages hatte Huayna Cápac jedoch einen prophetischen Traum. Er beunruhigte ihn zutiefst, handelte er doch vom Niedergang seines Imperiums, das sich über die gesamten Anden erstreckte. Er befragte seine Astrologen, die seine Befürchtungen nicht zerstreuen konnten: Den Inkas, die sich selbst für »Söhne der Sonne« hielten, werde es ergehen wie dem Gestirn, das einem zwölfmonatigen Zyklus unterliege: Mit Huayna Cápacs Nachfolger werde seine Sippe untergehen.
    Der Inka war bestürzt, und um das drohende Unheil abzuwenden, beschloss er, nicht mehr länger nach neuen Eroberungen zu streben, sondern zu versuchen, die unterworfenen Stämme fest an seinen Erben zu binden: Und so ließ er zur Geburt seines Sohnes Huáscar – was in ihrer Sprache »Strick« oder »Kette« bedeutete – eine gewaltige goldene Kette schmieden, so lang, dass sie einmal um den Marktplatz von Cuzco herumreichte, und so schwer, dass sechshundert der stärksten Indios sie kaum tragen konnten. Fortan sollte sie bei allen feierlichen Zeremonien mitgeführt werden als Sinnbild für Amaru, die Riesenschlange, eines ihrer heiligsten Tiere, Symbol des Wissens und der Weisheit: Sie sollte sie beschützen vor der drohenden Gefahr.
    Und auf noch etwas war er bedacht: Auf alle Fälle musste er |120| den Punchao schützen, jenes goldene Abbild von Inti, ihrem Sonnengott, in dem man das Wertvollste des Reiches, die Asche der Herzen sämtlicher bisheriger Inkas, aufbewahrte: Dann konnte man den »Kindern der Sonne« nichts anhaben und ein weiterer Sonnenlauf würde anbrechen, in dem sein Herrschergeschlecht erneut Großartiges vollbrächte.
    Und dennoch nützten all diese Vorkehrungen nichts: Huayna Cápac starb 1527 an den Pocken, jener von den Spaniern eingeschleppten Krankheit, gegen die die Indios keine Abwehrkräfte hatten. Nach seinem Tod brach das im Traum vorhergesehene Unheil über die Inkas herein. Sowohl Huáscar, der Huayna Cápacs Verbindung mit dessen Schwester entstammte, als auch Atahualpa, Sohn der letzten Prinzessin der Scyrs, erhoben Anspruch auf den Thron und stürzten sich in einen erbitterten Bruderkrieg. Ersterer konnte auf die Unterstützung des Südens und der Hauptstadt Cuzco zählen, Letzterer auf die des Nordens und der Stadt Quito, aus der seine Mutter stammte. Nach jahrelangen Kämpfen unterlag schließlich Huáscars Armee. Atahualpa übte blutige Vergeltung an Huáscars nächsten Verwandten und den Bewohnern von Cuzco. Und auch die Gelehrten tötete er, indem er sie zwang, große Mengen scharfen Chilis zu schlucken. Auf diese Weise wollte er jegliche Erinnerung an das bisherige Inkageschlecht auslöschen und eine ganz neue Dynastie begründen.
    Dies wäre ihm auch gelungen, hätte nicht Francisco Pizarro das Land erobert und ihn 1533 in Cajamarca in einen Hinterhalt gelockt und gefangen genommen. Da er die Gier der Spanier nach dem glänzenden Metall kannte, das sein Volk als »Schweißperlen der Sonne« verehrte, glaubte Atahualpa, sich für einen Raum voller Gold und Silber freikaufen zu können. Und so wurden die Tempel und Schatzkammern des Reiches geplündert. Doch die Spanier hielten nicht Wort: Kaum hatte man ihnen den Schatz übergeben, wurde Atahualpa aufgrund einer fadenscheinigen Anklage hingerichtet.
    |121| Nach seinem Tod setzte Pizarro Huayna Cápacs dritten Sohn, Manco Cápac, auf den Thron, den er als Marionette zu benutzen gedachte. Aus Furcht vor Atahualpas Anhängern verbündete sich dieser anfangs mit ihm.
    1535 war Manco Cápac die ständigen Erniedrigungen durch die Spanier jedoch leid und griff zu einer List, um sich aus ihrer Gewalt zu befreien. Hierzu bediente er sich des mächtigsten Köders, den er zu bieten hatte: Wie Atahualpa verkündete er, seine Untergebenen verfügten noch über ungeheure Reichtümer, die sie versteckt hätten, nachdem Pizarro nicht Wort gehalten habe. Und er versprach, sie den Spaniern zu bringen, wenn man ihm freies Geleit gäbe. Blind vor Habgier ließen ihn die Spanier ziehen.
    Doch Manco Cápac kehrte nicht mit Gold, sondern mit einem mächtigen Heer

Weitere Kostenlose Bücher