Quipu
Marinekommandantur vor, wo ihm jedoch mitgeteilt wurde, dass es noch ein paar Tage dauern werde, bis das Schiff Richtung Kanarische Inseln in See steche. Es müssten noch das Frachtgut überprüft und die Zollangelegenheiten erledigt werden.
Draußen auf der Straße fiel ihm auf, dass die Zahl der versehrten und altersschwachen Seeleute zugenommen hatte, die sich mit Schuheputzen über Wasser halten mussten. Ihn überkam Mitleid: Was für ein trauriges Ende für Menschen, die ihre Jugend für die Seefahrt geopfert hatten. Eine Weile blieb er bei einem weißbärtigen Matrosen stehen, der sich sein täglich Brot mit dem Vorführen von Trickknoten zu verdienen versuchte. Schließlich beschloss Sebastián, sich ein Nachtlager in San Francisco zu suchen.
In dem Hafenviertel gab es viele Geschäfte und Schenken, und man hörte unzählige Sprachen. Es war ein wahres Babel; als er noch in Cádiz studiert hatte, hatten hier allein die Franzosen fünfzig Handelshäuser besessen; inzwischen waren es noch viel mehr geworden. Er kam in einer recht ordentlichen Herberge unter. Nachdem er ausgepackt hatte, zog es ihn hinaus. Er hatte Hunger. Als er wenig später auf eine Spelunke zusteuerte, aus der verlockende Düfte drangen, hielt er plötzlich abrupt inne: Der Zufall wollte es, dass im selben Moment der Marqués de Montilla und ein mit einem grünen Cape bekleideter Mann aus der Wirtshaustür traten.
Montilla zusammen mit dem Mörder seines Vaters! Schnell drückte Sebastián sich in das Dunkel einer Tordurchfahrt. Zum Glück hatten sie ihn nicht bemerkt. Unauffällig folgte er ihnen bis zur Befestigungsmauer im Nordwesten der Stadt, an der entlang sie weiter zur Bastei La Candelaria gingen.
Der Ingenieur kannte die Gegend gut, schließlich hatte er an der benachbarten Militärakademie studiert. Er kletterte hinauf auf die Ringmauer, wo er durch eine Schießscharte beobachten konnte, dass zwei fremdländisch wirkende Männer in weiten Umhängen die beiden erwarteten. Da sie sich unbelauscht wähnten, begrüßten sie den Marqués und seinen Begleiter mit lauter |107| Stimme. Da bestand für Sebastián kein Zweifel mehr: Engländer! Waren es Spione? Was hatten Montilla und der andere mit ihnen zu schaffen? Spielten sie ein doppeltes Spiel?
Anschließend eilten die vier schnellen Schrittes durch einsame Gassen bis zu einem kleinen Platz, wo sie die Buchhandlung eines Franzosen betraten. In der Stadt gab es gut zwanzig solcher Geschäfte; während Sebastiáns Studienzeit waren es die besten Adressen gewesen, um an verbotene Bücher zu gelangen.
Als sei er ein gewöhnlicher Passant, schlenderte Sebastián an dem Schaufenster vorbei und warf einen vorsichtigen Blick hinein: Die vier Männer standen mit dem Rücken zu ihm und schienen heftig mit jemandem zu streiten. Unglücklicherweise stolperte Sebastián über eine Flasche, die daraufhin lautstark über das Pflaster rollte. So schnell er konnte, versteckte er sich hinter einer Hauswand, und das keine Minute zu früh, denn im selben Moment trat Montilla ans Fenster, sah sich misstrauisch um und zog dann energisch den Vorhang zu, sodass jeglicher Einblick von außen unmöglich wurde.
Sebastián wartete lange. Nach einer halben Ewigkeit wurden die Lichter in der Buchhandlung schließlich gelöscht. Doch die Tür blieb geschlossen. Da dämmerte es ihm. Er lief um den Häuserblock herum und entdeckte den Hinterausgang. Sie waren ihm entwischt.
|108| La Carraca
A m nächsten Vormittag holte Paco Sebastián von der Fähre ab. Auf dem Weg nach La Carraca erklärte er dem Ingenieur, was die Werft so uneinnehmbar machte. Gegen Angriffe vom Meer schützte sie Cádiz’ Befestigungsgürtel mit den Forts San Sebastián, Santa Catalina und San Felipe in erster und den links und rechts der Bucht liegenden Geschützständen von Puntal und Matagorda in zweiter Linie. Zusammen mit dem Kastell auf der vorgelagerten Insel Sancti-Petri machten sie jeden Überfall von See aus zu einem gefährlichen Unterfangen. Aber auch vom Land her war La Carraca gesichert: Die Werft lag ganz hinten in der Bucht von Cádiz, wo es nur noch Marsch- und Schwemmland gab, in dem jedes feindliche Heer unweigerlich zu Tode kommen würde. Die Kanäle aber, die dieses Land durchzogen, waren breit und tief genug für die Schifffahrt, denn selbst bei Ebbe sank der Wasserstand nicht unter dreieinhalb Klafter. Sogar Schiffe mit großem Tiefgang konnten sie befahren, vorausgesetzt, sie hatten einen erfahrenen Steuermann
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