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Quipu

Quipu

Titel: Quipu Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: A Vidal
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Traurigkeit lag in ihren Augen, verborgen hinter dem langen schwarzen |124| Haar, das das schönste Gesicht erahnen ließ, das er je gesehen hatte. Er war so überwältigt von ihrem Anblick, ihrer zarten Schönheit, dass er fürchtete, sie könne sich jeden Augenblick in Luft auflösen.
    Als der Dolmetscher sie fragte, wo sie wohne, senkte sie die Augen. Und als sie sie wieder hob, blickte sie hinter ihn. Ein kurzes, warnendes Zeichen nur, das Diego de Acuña jedoch nicht entging. Schnell wandte er sich um und sah gerade noch einen Indio, der um die Ecke verschwand. Acuña rannte ihm hinterher, und da entdeckte er, warum die Hellebardiere geflohen waren: Sie hatten die im Hinterhalt lauernden Indios bemerkt.
    Als er sich wieder zu der jungen Frau umdrehte, war sie verschwunden. Ihr nachzulaufen war zwecklos, noch kannte er die Stadt nicht gut genug. Wer war sie? Und was hatte sie so spät noch auf der Straße zu suchen? Nachdenklich machte er sich auf den Heimweg, als er an der Stelle, wo die Soldaten sie bedroht hatten, etwas auf dem Boden erblickte. Er bückte sich und hob es auf. Es war eine rote Schnur, an der mehrere Schnüre mit Knoten herunterhingen. Sie sah aus wie eines dieser Schmuckstücke der Indios: Ohne Zweifel gehörte sie der jungen Frau. Die Schnur war seine einzige Spur. Sorgfältig verwahrte er sie in der Tasche seines Rocks, und als er   …
     
    In diesem Moment vernahm Sebastián ein Geräusch. Schnell löschte er die Laterne, gerade noch rechtzeitig, denn schon wurde über ihm eine Luke geöffnet, und ein schwacher Lichtstrahl fiel kurz in den Kielraum, bevor die Klappe wieder zufiel. Als seine Augen sich an die Dunkelheit gewöhnt hatten, konnte er ein paar funkelnde, unruhige Augen erkennen. Er duckte sich hinter den Tauen. Doch die Augen kamen immer näher. Man hatte ihn entdeckt.

|125| Das rote Quipu
    S ebastián hielt die Luft an. Unendlich vorsichtig schob er ein Seil zur Seite, spähte zwischen zwei dicken Tauen hindurch – und seufzte erleichtert: Es war die Katze der »África«. Er wusste, dass alle Schiffe ein solches Tier an Bord hatten, damit die Ratten nicht das Takelwerk zernagten oder die Vorräte vertilgten, und verstand nun auch, weshalb er nur diese riesengroßen Augen gesehen hatte. Bis auf eine kleine weiße Strähne auf der Brust war das Fell der Katze rabenschwarz.
    Wie jedes Exemplar ihrer Gattung schien sie ihn als Eindringling in ihr Revier zu empfinden und fauchte ihn an. Er ließ sich aber nicht davon beeindrucken, worauf sie sich beruhigte und sich die Pfoten zu lecken begann. Als sie sich fertig geputzt hatte, schlich sie zur Chronik, die der Ingenieur neben sich gelegt hatte, und beschnupperte sie von allen Seiten. Anfangs dachte Sebastián, es sei der Ledereinband. Doch nein, sie interessierte das Innere des Buches, nicht das Papier, sondern die Tinte, die sie abzulecken versuchte, bevor Sebastián die Handschrift zuklappen konnte. Was ist das nur für ein Jahrhundert, dachte er amüsiert, in dem selbst die Katzen aufgeklärt werden wollen.
    Er überlegte,was er tun sollte. Eigentlich glaubte er nicht,dass sie ihn verraten würde, im Gegenteil, sie konnte sogar eine wunderbare Verbündete sein,denn wer kannte die Eingeweide des Schiffes besser als sie? An der Gründlichkeit,mit der sie sein Versteck untersuchte, sah er, dass sie ihren Auftrag ernst nahm. Das Tier bewegte sich in dem Durcheinander des Laderaumes vollkommen sicher und schlüpfte unbesorgt zwischen den Fässern hindurch.
     
    |126| Auch in den folgenden Tagen kam sie zu Besuch. Und eines Tages beschloss er, ihr zu folgen und das Schiff ausführlicher zu erkunden.
    Zunächst schlich er in Richtung Heck zur Pantry. Darunter versperrte ihm jedoch eine Ziegelwand den Weg; sie schützte die Pulverkammer, in der die Munitionsfässer gelagert waren. Sie war nicht von dieser Seite zugänglich, sondern von der anderen, der Hecktreppe aus.
    Er ging also zurück Richtung Bug. Hinter dem Podest für die Taue, auf dem er sein Versteck errichtet hatte, lagerten die Wasserfässer, danach kamen das Holz, die Teerfässer und schließlich ein paar schwere Fässer, deren Inhalt er nicht ergründen konnte. Sie verbreiteten jedoch einen furchtbaren Gestank, der ihn ziemlich beunruhigte. Es roch scharf und durchdringend. Was wurde da transportiert? Schnell drängte er sich daran vorbei, doch er kam nicht mehr weit, da eine weitere Trennwand den Laderaum zum Bug hin abschloss. Also kehrte er in sein Versteck zurück

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