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Quipu

Quipu

Titel: Quipu Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: A Vidal
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Bord, ein Gehege Rinder auf dem Oberdeck und Federvieh in Käfigen auf den Beibooten. Leider erfuhr er, dass dieses Fleisch nur für das Offizierskorps und die Kranken bestimmt war.
    Als er sich danach in der Sonne an eine Kanone lehnte, wurde er mit einem Mal sehr müde. Das Rauschen der Wellen, das Flattern der Segel, das Knarren des Holzes und das Schreien der Möwen wiegten ihn bald in den Schlaf.
    |156| Als er wieder aufwachte, sah er sich unter der Schiffsbesatzung um. Sein Überleben an Bord würde davon abhängen, dass er keinen falschen Schritt tat, dass er das Schiff mit all seinen Winkeln, Treppen und Decks und Gepflogenheiten kennenlernte. Und wenn er das Terrain erst einmal kannte, musste er den Mörder ausfindig machen. Oder zumindest die Truhe mit dem grünen Cape. Über das Gepäck würde er die Identität des Cape-Besitzers und vielleicht auch seine Absichten herausfinden können.
    Kurz darauf kam der Obermaat und wies Sebastián rüde darauf hin, dass er die Matrosen nicht bei der Arbeit stören dürfe. Sobald er die Pfiffe zum Zeichen für ein Manöver höre, müsse er das Deck räumen. Er dürfe sich aber auf keinen Fall jenseits des Großmasts in Richtung Heck bewegen, sondern müsse immer im zum Bug hin gerichteten Mittelteil des Schiffes bleiben. Ein Zuwiderhandeln gegen diesen strikten Befehl habe schwerwiegende Folgen.
    Also kehrte Sebastián zurück zu der Kanone, wo er zuvor gesessen hatte, und beobachtete von dort aus weiter die vielen Männer. Nach einer ersten Schätzung kam er auf gut dreihundert Seeleute. Dazu kam eine Garnison Soldaten mit mindestens zweihundertsiebzig Mann sowie gut fünfzig weitere, die wissenschaftliche Expedition Montillas. Über sechshundert Mann an Bord, stöhnte Sebastián, wo soll ich da anfangen zu suchen?
    In diesem Augenblick läutete die Glocke zum Mittagessen, das schichtweise eingenommen wurde. Dazu wurden auf jedem Deck ein paar Tische aus Holzbrettern und ein paar improvisierte Bänke zwischen den Kanonen aufgestellt, in jenen Lücken, in die nachts die Hängematten gehängt wurden. Backschaften von acht bis zwölf Mann wurden gebildet, entsprechend der Zuständigkeiten für die Kanonen. Einer aus der Gruppe stellte sich in der Speisekammer für die Rationen an, die er für die Zubereitung zum Koch brachte. Mit der fertigen Speise in einem Topf ging der Essenholer dann zurück zu seinen hungrigen Kameraden und verteilte das Essen auf deren Holznäpfe.
    Doch wo sollte Sebastián essen? Er gehörte keiner Backschaft |157| an. Er wartete also bis zum Schluss, um an seine Essensration zu kommen. Der Koch weigerte sich jedoch, ihm eine Mahlzeit auszuteilen. In diesem Augenblick kam ein Junge mit seinem Topf an.
    »Was ist los?«, fragte er.
    Der Ingenieur glaubte, in ihm den Schiffsjungen wiederzuerkennen, der auf so geheimnisvollen Wegen das Essenstablett ins Heck gebracht hatte. Er wies mit dem Kopf auf den Koch, der ihn nicht bedienen wollte.
    »Er gehört keiner Backschaft an«, fühlte der sich in der Pflicht zu erklären.
    »Stimmt das?«
    Sebastián nickte.
    »Dann essen Sie eben mit uns«, entschied der Kleine. »Wir finden schon noch einen Platz für Sie   … Tu seine Portion bei mir mit rein«, sagte er zu dem Koch.
    Als sie zu ihrem Tisch hinabstiegen, wollte Sebastián dem Jungen den schweren Topf abnehmen, doch der winkte ab.
    »Keine Sorge, ich schaffe das schon. Übrigens: Ich heiße Miguel und bin der Besen- und Pulverjunge«, erklärte er mit einem stolzen Lächeln, das sein schmales Gesicht aufleuchten ließ.
    »Besen- und Pulverjunge?«, sagte der Ingenieur verwundert. »Das klingt ja fast nach Adelstitel!«
    »Meine Aufgabe ist es, das Deck zu fegen, und wenn wir ein feindliches Schiff unter Beschuss nehmen, muss ich die Kartuschen aus der Pulverkammer holen«, antwortete er mit der Ernsthaftigkeit eines Jungen, der früh das Leben von Erwachsenen führen musste.
    Sie gelangten zum Tisch von Miguels Backschaft. Als die Männer Sebastián erblickten, rührte sich keiner, um ihm Platz zu machen. Da erklang eine Stimme, die Sebastián vertraut vorkam:
    »Was ist hier los? Wo bleibt die sprichwörtliche Gastfreundschaft der Matrosen?«
    Es war der Schiffszimmermann, Hermógenes. Doch keiner bewegte sich auch nur einen Zollbreit, sodass schließlich Miguel |158| Sebastián seinen Platz auf der Bank überließ und sich zwischen zwei Matrosen quetschte.
    Sie aßen schweigend. Sebastián stand als Erster auf, um dem Jungen zu helfen, Näpfe

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