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Quipu

Quipu

Titel: Quipu Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: A Vidal
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krummes Horn, aber mit dem rechten zielt er gut und rammt es dir ohne Zögern in den Bauch. Sei also wachsam und lass ihn so lange in Ruhe, bis er den Kopf senkt. Bei der Parade hat er mich dann aber doch auf die Hörner genommen. Aber das war es wert, denn die Menschenmenge wusste meine Leistung zu würdigen.«
    »Das heißt, die Bewohner von Lima verstehen etwas davon.«
    »Nun, sie bringen einiges durcheinander; sie töten den Stier mal auf Navarra-, mal auf Verónica-, Rondeña- oder auch auf die Sevillanaart, und wenn man sie darauf hinweist, behaupten sie, es auf Kreolenart zu tun.«
    »Sie haben einen gut eingearbeiteten Trupp, wie ich sehe.«
    »Sie waren von Anfang an dabei.«
    |164| Genau das wollte Sebastián wissen. Unter den Toreros war der geheimnisvolle Passagier also nicht zu finden.
    Als er wieder alleine war, überkam ihn auf einmal ein seltsames Gefühl, so als verfolge irgendjemand all seine Bewegungen. Er ließ den Blick über das Deck schweifen, auf dem die Kanonen aufgereiht waren. Vielleicht war es ja nur Einbildung, und alles, was er sah, war völlig normal. Neben ihm suchten sich ein paar Matrosen in der letzten Abendsonne nach Flöhen ab, ein weiterer hatte sich in die Hände des Barbiers begeben. Am Bug, wo Miguelito gerade Wache schob und jede halbe Stunde die Sanduhr umdrehte, stellten der Zahlmeister und der Speisemeister irgendwelche Berechnungen an. Auf dem Achterdeck korrigierte der zweite Offizier gerade einen Kadetten, der den Sextanten bediente. Und hinter den beiden unterhielt Valdés sich allem Anschein nach mit dem Obermaat über eine Kleinigkeit an der Takelage. Alles wirkte normal. Doch Sebastián wurde das Gefühl nicht los, beobachtet zu werden. Wenn er nicht länger der Willkür eines nicht auszumachenden Gegners ausgeliefert sein wollte, musste er handeln.
    Er beobachtete das Stampfen des Schiffes, die Wucht der Wellen. Der abnehmende Mond war günstig für sein Unterfangen, da er ein wenig Licht hätte, aber wiederum nicht so viel, dass er sofort entdeckt würde. Er musste sich Gewissheit verschaffen.
    Der Augenblick war gekommen, dem Mörder seines Vaters und seines Onkels ins Auge zu blicken. Wer anders konnte es sein als dieser Reisende, für den all die Sicherheitsvorkehrungen getroffen worden waren? Alles deutete darauf hin: die Gerüchte, die er von den Matrosen gehört hatte, die Arbeiten, die Hermógenes vorgenommen hatte, um eine für die beiden Bordkapläne bestimmte Kabine abzutrennen, das strenge Verbot, diesen Bereich zu betreten   …
     
    Ein paar Stunden später, als alle neben ihm endlich laut schnarchten, erhob sich Sebastián leise aus der Hängematte und schlich hinauf zum zweiten Oberdeck. An der Tür, die zum Bug führte, blieb er stehen und lauschte. Normalerweise war dort eine Wache |165| postiert, doch jetzt war nichts zu hören. Vorsichtig schlich er aufs Deck hinaus, sorgsam darauf bedacht, dass der Wind die Tür nicht zuschlug. Die beiden wachhabenden Matrosen befanden sich auf der Backbordseite und unterhielten sich gerade mit der Bugwache. Leise kletterte er über die Reling. Der Wind schlug ihm ins Gesicht.
    Er hatte die Längsseite des Schiffs genauestens studiert. Die Wanten, die die drei großen Masten jeweils zu den Schiffsseiten hin verspannten, waren an starken Holzvorsprüngen vertäut. Dort würde er sich verstecken können, falls die Wachen über ihm auftauchten.
    Im Schutz des ersten Vorsprungs, dem des Fockmasts, hangelte Sebastián sich in Richtung Heck, wobei er sich mit den Füßen auf den Geschützpforten abstützte, aus denen die Kanonen ragten. Zunächst ging alles gut, auch wenn die rauen Fugen und die Holznarben ihm in die Hände schnitten. Gefährlich wurde es jedoch, als sich der Saum seiner Hose in den Scharnieren einer Geschützluke verfing. Plötzlich neigte sich das Schiff so stark, dass er fast ins Meer geschleudert worden wäre, und zu allem Überfluss hörte er auch noch, wie die Matrosen zur Steuerbordseite zurückkehrten. Er betete, dass sie ihn nicht bemerkten.
    So hing er nun an dem Vorsprung und kam nicht weiter. Die Wellen peitschten gegen die Bordwand. Seine Hände rutschten immer wieder ab. Ehe ihn die Kräfte verließen, blieb ihm nur noch eine Möglichkeit: der Anker, schräg über ihm. Wenn er sich am Ankerschaft festhielte, könnte er die Hose aus den Scharnieren befreien. Allerdings musste das äußerst leise geschehen, denn auf der anderen Seite schlief ein Teil der Besatzung. Vorsichtig tastete er

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